Nathanael Liminski, Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales sowie Medien des Landes Nordrhein-Westfalen und Chef der Staatskanzlei, sagte in einem kurzen Talk, dass das Thema der digitalen Souveränität aktueller sei denn je. Regulierung sei unabdingbar, aber auch schwierig. Antisemitismus etwa sei keine Meinung, sondern ein Verbrechen, da Gleiches gelte im analogen wie im digitalen Raum. Bürger*innen müssten niedrigschwellig mitgenommen werden, für digitale Souveränität sei Medienkompetenz der Schlüssel – auch er kam auf die individuelle Ebene zu sprechen.

Im Folgenden finden Sie eine schriftliche Zusammenfassung des Gesprächs. Dieses steht Ihnen zudem als Audiomitschnitt zur Verfügung:
Videostatement aus unserem Speakers‘ Corner:
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Auf die Frage des Moderators Alexander Matzkeit, welche Rolle die Regulierung, die Medienpolitik spielen könne bei der Stärkung der wehrhaften Demokratie in der Medienlandschaft, sagte Nathanael Liminski, Medienminister des Landes Nordrhein-Westfalen und Chef der Staatskanzlei, dass das Thema Regulierung im Bereich Medien ein Thema sei, das „über viele Jahre nur für Feinschmecker von Interesse war“. Die Rundfunkkommission und die Medienminister der Länder hätten sich natürlich nicht erst seit der Rede von J.D. Vance damit beschäftigt. Aber ihm sei aufgefallen, dass „seit der Rede von J.D. Vance auf einmal Deutschland darüber redet und ganz viele zu Experten geworden sind. Und ich glaube, wir kommen dadurch jetzt in eine Debatte, wo ein Teil des politischen Spektrums, vor allen Dingen an den Rändern – die Extreme, die Populisten, könnte man auch sagen – versuche, jegliche Form von Regulierung im digitalen Raum zu diskreditieren. Als sei das eine Form von digitalem Maulkorb, der von oben herab auf uns niedergeht und die Freiheit, die ach so vermeintlich große Freiheit des Internets einschränken wolle“.
Dies sei falsch. Aber es sei politisch zunehmend schwieriger, für Digitalregulierungen nicht nur die nötigen Mehrheiten in den Parlamenten zu bekommen, sondern auch öffentlich die nötige Unterstützung. Er glaube, die richtige Antwort müsse sein, dass man umso offensiver dafür werbe, dass auch das Internet, auch die Welt der digitalen Plattformen Regeln brauche. Aus Sicht des Ministers sei das keine neue Erfindung, sondern man übersetze Regeln, die man über Jahre und Jahrzehnte im analogen Raum mühsam entwickelt habe, durch Rechtssetzung und durch Rechtsprechung in die digitale Welt. „In Deutschland ist Antisemitismus ein Verbrechen und keine Meinung. Und ich will, dass das nicht nur auf der Straße gilt, sondern auch im Netz.“

Das sei bereits jetzt so, aber nur, weil man es mit den Regeln des DSA und anderen Dingen umgesetzt habe. Von US-amerikanischen Vertretern und anderen werde dies ausgelegt, als sei das eine Einschränkung der Meinungsfreiheit. Das sei aber falsch, weil auch auf der Straße gelte, dass „du nicht einfach antisemitisch dich äußern darfst. Du darfst auch keine Volksverhetzung machen. Du darfst auch nicht zu Straftaten aufrufen. Du darfst auch nicht bewusst ein falsches Zeugnis über andere abgeben“. Alle diese Dinge seien in der analogen Welt strafrechtlich bewehrt und dies müsse aus seiner Sicht auch im Netz durchgesetzt werden. Dies sei, was der DSA tue, und deswegen, so glaube er, müsse man umso offensiver dafür werben, „dass wir uns solche Regeln geben, die wir übrigens mühevoll über Jahre demokratisch legitimiert entwickelt haben“.
Deswegen tue er sich auch ein bisschen schwer damit, wenn jetzt so getan werde von einigen, „sollen wir das jetzt machen, kann das weg, muss das sein, sollen wir es wirklich vollziehen“. Das Ganze habe eine Geschichte. Und deswegen gebe es auch eine Verpflichtung, die damit einhergehe. Er sei sich im Klaren darüber, was er sage, weil natürlich Kollegen aus seiner Zunft sagten, „nein, lieber nicht, der große weiße Mann mit dem blonden Haaren im Weißen Haus, der sollte nicht sauer sein, aber da sage ich ganz ehrlich, wir müssen an irgendeiner Stelle uns auch als Europa wenigstens anfangen, selber ernst zu nehmen, wenn wir wollen, dass andere uns ernst nehmen“.
Auf die Frage, ob es nicht vor allen Dingen an der Durchsetzung im digitalen Raum hake, antwortete Minister Liminski, dass die Akzeptanz oder auch der Respekt vor Regeln im Bereich der Digitalregulierung ganz wesentlich davon abhänge, ob wir ernst machten mit der Durchsetzung. Und er sage ganz bewusst „wir“, weil an der Stelle den Ländern eine sehr zentrale Rolle zukomme über die Landesmedienanstalten – und diese kämen dem auch nach.
Wenn man sich anschaue, was etwa nach dem 7. Oktober 2023 an Dingen zum Thema Antisemitismus tatsächlich nachvollzogen worden und zur Anzeige gebracht worden sei, dann sei das vor allem durch die Landesmedienanstalten geschehen, nicht nur in Deutschland, sondern für ganz Europa gesehen.
Aber das gehöre zur Wahrheit dazu: Es gebe ungefähr zehn Verfahren, die nach dem DSA liefen, da seien alle großen Plattformen mit dabei, und trotzdem merke man, wenn man in Brüssel sei und die Kommission fragte, wann man mit Ergebnissen rechnen dürfe, dass die Antwort immer ein wenig zaghaft sei. Er glaube, an der Stelle müsse man ernst machen, nicht um irgendjemanden zu gängeln, auch nicht um irgendjemanden zu bestrafen. Er freue sich über jedes Unternehmen, das in Europa Geld verdienen wolle, „freilich nach unseren Regeln“. Das müsse für alle gelten. „Und wenn es dann heißt, und ich bin mir bewusst, wo wir hier sind [bei Google], das sei eine Regulierung gezielt gegen amerikanische Konzerne, muss ich sagen, das liegt vielleicht daran, dass diese Konzerne vor allen Dingen aus den USA kommen, aber das ist eine Regulierung, die genauso für alle anderen Unternehmen aus der ganzen Welt hier gilt und deshalb durchgesetzt werden muss.“
Alexander Matzkeit sagte, der Minister habe sich gerade mit seinen Kolleginnen und Kollegen auf Eckpunkte für einen neuen Digitale-Medien-Staatsvertrag geeinigt. Was stehe darin und was solle dieser besser machen als bisher?
Darauf antwortete Nathanael Liminski, dass der nächste Medienstaatsvertrag, „also wir haben einen Schnellläufer, wenn Sie so wollen, der jetzt gerade schon in die Abstimmung geht unter den Ländern“, eher Dinge betreffe, die man nachvollziehen müsse im deutschen Recht aus EU-Rechtsakten etc. Das sei aus seiner Sicht eher viel Formalrecht. Der sogenannte Digitale-Medien-Staatsvertrag, an dem man bereits arbeite, werde sehr substanziell, weil er sich im Grunde genommen der Frage zuwende, nachdem man sehr viel Zeit auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk verwendet habe, wie man im Sinne der Medienvielfalt für faire Rahmenbedingungen sorge, für nicht zuletzt auch private Medien, die sich refinanzieren müssten. Das sei ein ganz wesentlicher Teil. Da gehe es dann um Auffindbarkeitsregeln und all solche Dinge. Da gehe es um Werberegulierung, wo man aus seiner Sicht liberaler werden müsse, zumindest fairer im Sinne von „für alle das gleiche Level Playing Field“. Das sei für manche vielleicht nicht so spannend, aber das sei am Ende das Feld, auf dem Medienkonzerne hier in Europa ihr Geschäftsmodell begründen könnten. Deswegen sei das nicht unwesentlich, denn man wisse, dass durch Internationalisierung, durch Digitalisierung, nicht zuletzt durch Polarisierung in den europäischen Gesellschaften, es für Medienhäuser derzeit nicht gerade ein einfaches Umfeld sei.
Der Moderator wies darauf hin, dass es immer eine ganze Weile dauere, bis so ein Staatsvertrag beschlossen sei, und fragte, ob man da noch hinterherkomme.
Der Minister sagte: „Ich würde schon für uns in Anspruch nehmen, dass wir im Vergleich zu früher ein ganz anderes Tempo entwickelt haben. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Wir haben gerade im nordrhein-westfälischen Landtag die Medienstaatsverträge Nummer 6, 7 und 8 verabschiedet. Jetzt kann man darüber schmunzeln, dass wir gerade drei auf einmal durch den Ofen schieben, aber das wird an der Stelle dem gerecht, was die Dynamik in diesem Feld eben ist. Die drei, die ich da meine, sind zum einen der Jugendmedienschutzstaatsvertrag, der ab dem 1. Dezember gilt, der zweite ist der Reformstaatsvertrag zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk und der dritte ist der zur Rundfunkfinanzierung, der wahrscheinlich so nie das Licht der Welt erblicken wird. Wir sind bereits dabei, Nummer 9 und Nummer 10 quasi fertig zu machen“. Und das zeige, dass man längst weg sei [von früheren Zeiten], „wo ein Rundfunkstaatsvertrag über eine Legislatur liebevoll entwickelt worden und dann feierlich verkündet worden ist“. Das sei auch richtig so, weil man der Dynamik gerecht werden müsse.
Er wolle nur trotzdem die Lanze brechen dafür, dass man das in diesem Verfahren mache. Man sei hier in einem Themenbereich unterwegs, der sehr sensibel sei für unsere Gesellschaft oder, anders gesagt, für unsere liberale Demokratie. Ihm sei, auch als Sohn eines Journalisten, wichtig, dass Regulierung in dem Bereich sorgfältig stattfindet. Und er sage ganz ehrlich, „dieses Speedgesetzgebungsverfahren der Bundesregierung in den letzten Jahren, wonach wir fast die Hälfte aller Gesetzgebungsverfahren im beschleunigten Verfahren gemacht haben“, das sei ja nicht nur gut gewesen, Stichwort: Heizungsgesetz.
Insofern müsse da schon ordentliches Handwerk gemacht werden und ja, unter 16 [Ländern] dauere das mal länger, aber es kämen am Ende auch tragfähigere Ergebnisse heraus und da man hier nicht nur für die Unternehmen in einem sensiblen Bereich unterwegs sei, sondern auch für die Gesellschaft – man reguliere ja ein Stück weit auch Öffentlichkeit, öffentlichen Diskurs -, müsse das schon sorgfältig abgewogen und sorgfältig formuliert sein. Das gehe nicht mit viel Haltung und viel gutem Willen mal eben so. Insofern glaube er, dass das Verfahren sachgerecht sei.
Es gebe noch ein zweites Argument, die Standortnähe. Er glaube, dass man in den Ländern nicht so dazu tendiere wie der Bund oder andere Ebenen, Programmpolitik zu machen, und das sei im Bereich Medien nicht das Schlechteste, weil man unmittelbarer spüre, was die Folgen seien. Dies gelte auch für Digitalkonzerne. „Und deswegen passt das, solange wir das kraftvoll miteinander machen, auch in die Zeit.“
Alexander Matzkeit sagte, dass es im folgenden Panel auch um die Perspektive von Nutzerinnen und Nutzern gehen werde, und bat Minister Liminski um ein Beispiel dafür, was sich für diese im Digitale-Medien-Staatsvertrag (wenn dieser ausverhandelt sei) spürbar ändern könne.
Der Minister sagte, dass der Digitale-Medien-Staatsvertrag eher an die Sender gerichtet sei. „Das Einzige, wo ich hoffe, dass es sich auch bei den Nutzern ausspielt, ist Fairness in der Frage von Sichtbarkeit. Wir müssen in einer Welt, die von Plattformen zunehmend dominiert ist, für uns in Anspruch nehmen, Transparenz durchzusetzen. Ich habe kein Problem mit Algorithmen, aber ich möchte gern wissen, wie sie funktionieren. Und wenn es dann heißt, das ist Unternehmensgeheimnis, das ist die Coca-Cola-Formel unseres Unternehmens, muss ich ganz ehrlich sagen, ja, aber das Produkt ist halt leider nicht eine Cola, sondern die Frage, wie unser öffentlicher Diskurs funktioniert. Und so wie jedes Zeitungshaus, jeder Lokalfunksender in Deutschland, jeder Radiosender verstehen und akzeptieren muss, dass er besonderer Regulierung unterliegt, müssen das die neuen Medienhäuser auch.“
Auf Dauer seien das stärkste Regulativ für diese ganze Frage Kundinnen und Kunden, die wissen, was sie tun. „Und jetzt weiß ich, dass das immer so ein bisschen der Teil ist, wo alle sagen, jetzt wird es irgendwie romantisch und nostalgisch, der mündige Bürger, der Souverän… Ja, aber ich glaube trotzdem, dass wir an der Stelle viel Kraft und auch Geld investieren müssen, dafür zu sorgen, dass am Ende die Kundinnen und Kunden diejenigen sind, die zwischen Fake News und seriöser Nachricht, die zwischen Hass und Hetze auf der einen Seite und einem kuratierten Medienangebot unterscheiden können. Wenn die das nämlich tun, dann ist das am Ende das stärkste Regulativ, viel besser als jede Rundfunkkommission, jeder Politiker, jeder Staat, der darüber entscheidet.“
Angesprochen darauf, dass er auch für Medienbildung verantwortlich sei, sagte Nathanael Liminski, dies sei eine große Aufgabe, die er sehr ernst nähme. In Nordrhein-Westfalen habe man große Anstrengungen dafür unternommen und unternehme sie immer noch. Ein Beispiel: Als er vor einigen Jahren Medienstaatssekretär geworden sei (das Thema Medienkompetenz sei ja so ein Thema und Wiederkehrer, das bei jeder Krise komme, die durchs Land gehe, ob nun Flüchtlingskrise, Ukraine-Krise oder Corona-Krise), sei immer irgendwann der Satz gekommen, man müsse unbedingt mehr für Medienkompetenz tun, das sei ganz wichtig. Er habe sich dann immer gefragt, was das eigentlich heiße.
Auf seine Nachfrage habe es geheißen, man mache diese Studie und dieses Symposium und diese Konferenz und diese Programmschrift, und er habe gefragt: „Wie viele Menschen erreichen wir denn damit?“ – und dies sei offenbar eine schwierige Frage gewesen. Daraufhin habe man das Programm in NRW seit einigen Jahren darauf umgestellt, wirklich in die Fläche zu gehen, wirklich Strecke zu machen.
Mit dem DigitalCheck NRW habe man ein Angebot gemacht, „wo ich sehr niederschwellig meine Medienkompetenz testen kann. Sozusagen in Trainingshose auf dem heimischen Sofa. Keiner kriegt das mit. Ich kriege mein Ergebnis und sehe, wo ich gut bin und wo ich nicht gut bin. Und da, wo ich nicht gut bin, kriege ich ein Angebot, wo in meiner Nachbarschaft die Volkshochschule oder ein Online-Angebot passgenau helfen könnte. Jetzt kann man sagen, ist ja nett, aber es ist zumindest etwas, was mehr Menschen erreicht“. Man habe mittlerweile Zugriffszahlen im siebenstelligen Bereich und weit im sechsstelligen Bereich Menschen, die den Test machten, und zwar mit rasant steigender Tendenz. Man investiere auch in Werbung – nach Solingen, Stichwort Prävention, habe man da noch viel getan. Man erreiche mittlerweile in einem siebenstelligen Bereich Menschen, was für ein 18-Millionen-Land beim Thema Medienkompetenz mehr sei als Symposien, „wo Sie Preaching to the Saved machen“, weil da nur die Leute hinkämen, die sowieso wüssten, dass Medienkompetenz wichtig sei.
Der Moderator sagte, Medienkompetenz komme „immer wieder auf, so als Thema“. Sei digitale Souveränität in einer gewissen Art und Weise auch nur ein anderes Wort dafür?
Dies bejahte der Minister mit Blick auf die Bürgerinnen und Bürger und auf die Nutzerinnen und Nutzer. Er würde sagen, dass Medienkompetenz der Schlüssel sei, um digitale Souveränität zu haben. Mit Blick auf unsere Gesellschaft und auch unser Staatswesen, wenn man das so sagen wolle, gehöre natürlich noch mehr dazu, bis hin zu Fragen der Hardware, aber auch im Bereich der Regulierung. Er glaube, dass das auf jeden Fall ein Ziel sei, was man verfolgen sollte, aber er sehe genauso das Fundament: Das alles bringe nichts, wenn bei den Bürgern nicht ankomme, „das ist ein hohes Gut und ein erstrebenswertes Ziel, digital souverän, kompetent in der Medienwelt zu sein. Und das ist der Grund, warum wir das immer wieder vermitteln müssen“.




Bilder: Tom Maelsa / Grimme-Institut