Im Panel „Medien und wehrhafte Demokratie“ mit Prof. Dr. Jeanette Hofmann, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), Markus Beckedahl und Çiğdem Uzunoğlu wurde über den Zusammenhang von unabhängigen Medien und einer wehrhaften Demokratie diskutiert. Es wurde deutlich, dass sich Medien(-Häuser) bewegen müssen, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden, gleichzeitig sei es wichtig, die Nutzer*innen durch Bildung und lokalen Journalismus mitzunehmen und nicht zu verlieren im digitalen Raum. Digitale Communities müssten eingebunden werden und neue Wege der Informationsvermittlung und Ansprache (Beispiel Gaming) genutzt werden.
Speaker*innen des Panels
Videostatements aus unserem Speakers‘ Corner:
Markus Beckedahl, Zentrum für Digitalrechte und Demokratie
Um das Video anzuzeigen, ist ein Verbindungsaufbau zu YouTube erforderlich. Durch YouTube werden bei diesem Vorgang auch Cookies gesetzt. Details entnehmen Sie bitte der YouTube-Datenschutzerklärung.
Prof. Dr. Jeanette Hofmann, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)
Um das Video anzuzeigen, ist ein Verbindungsaufbau zu YouTube erforderlich. Durch YouTube werden bei diesem Vorgang auch Cookies gesetzt. Details entnehmen Sie bitte der YouTube-Datenschutzerklärung.
Çiğdem Uzunoğlu, Direktorin / Geschäftsführerin des Grimme-Instituts

Im Folgenden finden Sie eine schriftliche Zusammenfassung. Die Inhalte stehen Ihnen zudem als Audiomitschnitt zur Verfügung:
Nach einer kurzen Einstiegsrunde zur Frage, welcher Post zuletzt geliked wurde, ging es um die Frage, welche Rolle die Digitale Souveränität in einer Demokratie einnimmt. Jeanette Hofmann sagte, dass sie es begrüße, dass die Digitale Souveränität als Thema in den Fokus käme, und ging auf das Beschaffungswesen im IT-Bereich ein. Es sei wichtig, in diesem Zusammenhang nicht nur – wie häufig bisher – auf die Benutzungsfreundlichkeit und Verlässlichkeit zu günstigen Konditionen zu schauen, sondern auch unter dem Gesichtspunkt der Bedeutung für die europäische Wirtschaft, was bedeute das für die Verteidigung unserer Grundrechte, auch wenn nach wie vor das deutsche Beschaffungswesen nicht darauf eingestellt sei, auch solche Faktoren zu bedenken. Zumindest sei es aber inzwischen begründungsbedürftig, wenn man das günstigste Produkt einkaufe oder eins, bei dem sicher sein könne, dass es auch noch in 20 Jahren gewartet werde. Zumindest steige der Erwartungsdruck, dass sich etwas ändere. Markus Beckedahl verwies darauf, dass zumindest das Bewusstsein für die Förderung der Digitalen Souveränität größer geworden sei, dass man ein Problem habe. Er frage sich allerdings die ganze Zeit, wann das Bewusstsein wieder verschwinde. Aktuell gebe es dieses Momentum, Bilder der Inauguration von Trump mit den reichsten (Digital-)Unternehmern der USA seien noch im Kopf und das Entsetzen darüber, wer Macht über Daten habe, sei präsent. Es gebe aktuell einen gewissen Aktionismus, dass an vielen Orten über das Thema gesprochen würde, aber die effektiven Stellschrauben würden noch nicht gedreht. Er habe Panik davor, dass dieses Momentum auch schnell wieder verschwinde. Çiğdem Uzunoğlu sagte, es gehe häufig nur um die technologische, regulatorische Perspektive von Social Media, Plattformen etc. und die gesellschaftspolitische Dimension auch im Kontext einer wehrhaften Demokratie würden zwar immer wieder angesprochen, seien aber eigentlich eher noch ein Nischenthema. Es sei aber das Thema der zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteure, umso wichtiger sei es, das Thema auf die politische Bühne zu holen sowie in das Bewusstsein der Wirtschaft.

Auf die Frage, wie gefährdet die/unsere Demokratie sei, antwortete Çiğdem Uzunoğlu mit einer bildhaften Beschreibung: Wir informieren uns mithilfe einer Zeitschrift über die aktuelle Nachrichtenlage, aus der dazu genutzten Zeitung seien jedoch bestimmte Nachrichten zuvor herausgeschnitten worden. Das werfe die Frage auf, ob es normal sei, dass Informationen über einen Filter an uns weitergegeben würden. Früher habe man dies in einer analogen Welt niemals erlaubt. Sie wolle sich selbst entscheiden, über was und wie sie sich informiere. Jeanette Hofmann erwiderte, dass Vergleiche zwischen früher und heute dazu neigen würden, etwas zu romantisieren. Auch zuvor hätten Nachrichten nur einen gewissen Ausschnitt aus der Welt präsentiert, das gehe ja auch nicht anders. Es habe bereits in den 70er Jahren Selektivitätsdiskussionen gegeben. Es müsse ein gewisse Selektivität herrschen, diese sei auch im landesspezifischen Bereich nachvollziehbar. Was sich aber durch das Internet geändert habe, sei, dass man heute nicht mehr nur seine Regionalzeitung am Morgen lese und am Abend Tagesschau gucke. Früher sei es viel beschränkter gewesen. Auch könne man eher erkennen, inwiefern die klassischen Massenmedien beschränkt seien.
Auf die Bitte um Einschätzung, ob die heutige Medienwelt also positiv zu sehen sei, antwortete Markus Beckedahl, dass er es erst einmal super finde, nicht auf die lokale Tageszeitung als Hauptquelle beschränkt zu sein plus ein paar Radiosender. Aber man habe nun auch die Herausforderung, dass jeder zum Sender werden könne und man schauen müsse, wie man damit umgehe. Sehr viele Akteure hätten nicht unbedingt Demokratie und Meinungsvielfalt und konstruktive Debatte im Blick, sondern eher das Gegenteil. Zudem habe man Mechanismen auf den Plattformen, die bestimmte Richtungen bevorzugten. Man habe somit gar nicht mehr die Grundvoraussetzungen für eine informierte Debatte, weil auch die ökonomischen Probleme der Medien immer größer würden. Man habe zwar eine Unmenge an Meinungsvielfalt, aber man habe nicht mehr unbedingt die Kapazitäten, die Ressourcen, die Fähigkeiten und die Werkzeuge, daraus dann einen informierten Mix zusammenzustellen.
Auf die Nachfrage, ob wir also heute schlechter informiert seien und es gar nicht merkten, antwortete Jeanette Hofmann, dass dies auf den angesetzten Maßstab ankomme. Wenn man von der Regionalzeitung ausgehe, sei dies nicht der Fall, wenn man aber von den heutigen technischen Möglichkeiten ausgehe, bekämen wir zu wenig geliefert. Die Herausforderung sei, dass wir uns heute Informationen wünschen über Fachgebiete, die sehr voraussetzungsvoll seien und viel Fachwissen verlangten und das könnten die unter Zeitdruck stehenden Journalist*innen heutzutage nicht mehr leisten. Als Beispiel nannte Jeanette Hofmann den Bereich der Digitalpolitik, der thematisch in den Bereich der Newsletter abwandere, die nicht günstig seien. Das Problem seil, dass die Medien versuchten, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln und dies leider auf Kosten einer breiten Öffentlichkeit.
Nun stellte sich die Frage, ob wir alle eigentlich nur noch lernten, snackable unterwegs zu sein und wie man dagegen ankomme, dass alles nur noch ganz kurz und schnell erfassbar sein müsse, was wiederum zu Informationsverlust führe und schlecht sei für den Diskurs. Markus Beckedahl antwortete darauf, dass dies vielleicht zu einfach dargestellt sei und er habe nichts gegen snackable Content, dieser solle interessant vermittelt werden. Vielleicht solle man akzeptieren, dass alte Formate im Journalismus einfach nicht mehr zeitgemäß seien und dass es auch anders/neuer gehe. Er habe die Hoffnung, dass konstruktiver Journalismus immer breiter in die Öffentlichkeit komme, mit mehr Perspektivenvielfalt und Lösungsorientierung, um Leute nicht einfach zurücklassen mit einem „es ist alles so schlimm“, sondern mit Hoffnung auf Verbesserung. Journalismus und Journalist*innen müssten sich weiterentwickeln und lernen, die neuen Werkzeuge und die neuen Methoden anzuwenden, um ein verändertes Rezipientenverhalten zu adressieren, weil die Lokalzeitung vielleicht nicht mehr genutzt werde. Çiğdem Uzunoğlu merkte hier an, dass Lokalzeitungen ein wichtiges Instrument seien. Seit der Abschaffung von Lokalzeitungen in vielen Gegenden sehe man einen Zusammenhang mit verändertem Wahlverhalten und Informationsverhalten in diesem Regionen. Worüber informierten sich Menschen, wenn sie nicht Zeitungen, Radio, Fernsehen nutzten, sondern digitale Plattformen, die von Algorithmen bestimmt seien und – vereinfacht und verkürzt gesagt – in ihrer Bubble blieben. Wichtig sei die Frage, wie adressiere ich welche Zielgruppe und in welcher Form. Für Nutzer*innen sei es wichtig zu wissen, wo sie Qualitätsjournalismus fänden. Klickzahlengetriebene Nachrichten führten dazu, dass Informationen auf der Strecke blieben.
Deutschland habe manche digitale Entwicklung verschwitzt und es bleibe die Frage, ob dies aufzuholen sei. Jeanette Hofmann wies darauf hin, dass dies voraussetzen würden, dass die Medien sich aktiv beteiligten an einer Diskussion zu ihrer Zukunft. Sie sage gern, dass die deutschen Verlage die Autoindustrie von morgen seien und überwiegend gereizt reagierten. Festzuhalten an Altem sei jedoch keine Strategie, die Zukunft habe. Wir wüssten auf der einen Seite, dass Medien extrem wichtig seien für die Meinungsbildung in einer Demokratie, und auf der anderen Seite sei das alte Geschäftsmodell mehr oder weniger weggebrochen und auch nicht mehr zu reparieren. Da sei doch zu erwarten, dass die Verlage darüber nachdächten, was zu tun sei anstelle von Paywalls, die dazu führten, dass die nachfolgenden Generationen gar nicht mehr zu Zeitungslesern werden könnten.
Auf die Frage, wie die Abwendung der Nutzer*innen von klassischen Medien den Diskurs bestimme und welches Gegenrezept es geben könne, antwortete Markus Beckedahl, dass ein Gegenmittel sei, guten Journalismus zu leisten und dieser müsse nicht aus klassischen Verlagen kommen. Die spannendsten Entwicklungen sehe er ganz woanders, Beispiel „Lage der Nation“, ein Nachrichtenpodcast mit wöchentlich 500.000 Zuhörern mit eigener Redaktion, einem konstruktiven Ansatz dahinter und eigener technischer Infrastruktur, um komplett unabhängig von klassischen Verlagsstrukturen zu sein. Im lokalen Bereich gebe es zahlreiche gute Beispiele, auch im konstruktiven Journalismus, wo man beginne, Communities aufzubauen. Diese Beispiele zeigten, dass Journalismus eine Zukunft habe, vielleicht nicht in den klassischen Strukturen, sondern durch Menschen, die den Mut hätten, eigene Wege zu gehen, und mithilfe der Schaffung von Communities eigene Geschäftsmodelle schüfen.
Also gehe es nur noch mithilfe des Dazuholens einer Community? Jeanette Hofmann merkte an, dass dies vermutlich nur bis zu einem gewissen Punkt funktioniere. Große Anbieter wie der ÖRR hätten sich zum Beispiel ein Netzwerk von Korrespondenten aufgebaut, was Einzelanbieter nicht leisten könnten. Diese könnten eher solche Löcher stopfen, die der Rückgang von klassischen (lokalen) Zeitungen hinterließe, die internationale Berichterstattung sei eher nicht leistbar. Von daher würde man sich beides wünschen, die Infrastruktur großer Netzwerke und gleichzeitig Innovationen in den höher spezialisierten Bereichen. Çiğdem Uzunoğlu fügte hinzu, dass es in einer pluralen Gesellschaft sehr wichtig sei, plurale und zielgruppenspezifische Nachrichtenzugänge zu haben. Der eine richtige Weg sei noch nicht gefunden worden. Fakt sei aber, dass, wenn wir uns im digitalen Raum bewegten, wir uns in der Infrastruktur der großen Plattformen bewegten, die nicht in Europa angesiedelt seien, und die Frage sei, was mit unserer politischen Entwicklung in Europa passiere, wenn gewisse Strömungen über die Plattformen Unterstützung fänden, was passiere mit der dringend benötigten Vielfalt, den Zugängen, mit Qualitätsjournalismus und mit kritischem Journalismus? Würden solche Zugänge dann einfach abgekappt?
Im Moment sei es ja nun so, dass gerade Rechte und Nazigruppen ganz offen im Netz unterwegs seien und auch immer mehr Zustimmung bekämen. Haben wir dies zu lange laufen lassen? Hier wäre die Politik gefragt. Wie steuere man dagegen? Das sei eine Herausforderung für den Journalismus, sagte Jeanette Hofmann, die Frage nach Techniken für eine ausgewogene Berichterstattung sei in der letzten Zeit viel diskutiert worden. Die klassische Herangehensweise – man lasse beide Seiten zu Wort kommen -, führe wohl eher dazu, dass eine Sprache und eine Denkweise normalisiert werde in der deutschen Öffentlichkeit, die man noch vor zehn Jahren zutiefst abgelehnt habe. Da habe sich der Diskurs verschoben und der Journalismus habe hier ungewollt beigetragen. Man wünschte sich, dass es darüber in den Redaktionen Diskussionen gebe, wie man heute Ausgewogenheit heute eigentlich herstellen könne unter der Bedingung einer sich zunehmend polarisierenden Öffentlichkeit. Markus Beckedahl ergänzte, dass wir da zwei Herausforderungen hätten. Eines der Hauptprobleme sei in Deutschland ein Ökosystem rechts außen, das sich am amerikanischen Beispiel orientiere, auch mit Unterstützung von Tech-Oligarchen – von NiUS mit Julian Reichelt bis hin zu Springer -, die alle davon profitierten, die ganze Zeit auf die Empörungswelle draufzuschlagen, irgendetwas werde schon hängen bleiben, um Druck auf die Konservativen auszuüben, um sie nach rechts außen zu ziehen. Das zerreiße die Konservativen gerade und auch wir als Zivilgesellschaft, als Bürger*innen, stünden vor dem Problem, dass, wenn wir Widerspruch gegen diese Empörungsaktionen einlegten, auf die Mechanismen der Plattformen reinfielen und somit diese noch verstärkten. Denn sobald man Widerspruch einlege, denke der Algorithmus hier, gebe es Aufmerksamkeit. Dies sei ein großes Dilemma. Man dürfe nicht über jedes Stöckchen springen – auch der Journalismus -, das uns hingehalten werde.
Dann käme allerdings wieder die Kritik, dass die klassischen Medien über bestimmte Themen nicht berichteten. Jeanette Hofmann verwies erneut auf den Punkt, dass Journalismus heute neu darüber nachdenken müsse, was ausgewogener Journalismus sei. Dieser müsse sich an anderen Kriterien orientieren als an: „die eine Seite sagt, die andere Seite sagt“. Ein anderer Punkt sei der Themenbereich „Frameanalyse“, wenn rechte Diskurse dazu führten, dass etwa Fragen der Migration als Verteilungsfrage aufgeworfen würden – Wohnungsnot, Zahnarzttermine. Und eigentlich würde man sich wünschen, dass der deutsche Journalismus sich aufstellte, dass er diese Problematik sehe und kritisch reflektiere, wenn Problemverschiebungen stattfänden in einer aktuell sehr diskursiven Nachrichtenwelt.
Çiğdem Uzunoğlu sagte, sie würde gern den Aspekt des Aktivismus einbringen, der im Kontext von Journalismus auch noch einmal in Diskursräumen wirke. Es gebe Content Creator, Influencer*innen, die bestimmte Themen aufgriffen – sie wolle nicht unterstellen, dass jemand nicht journalistisch tätig sei -, denen das journalistische Handwerkszeug fehle, die aber mehrere Hunderttausend (oder millionenfach) Follower hätten, die dann diese Themen aufgriffen und in ihrer eigenen Community unreflektiert weitergäben. Dies wirke wie ein Verstärker. Sie habe keine Lösung, wie man mit so etwas umgehen solle, und sie glaube nicht, dass so ein Thema mit Qualitätsjournalismus bereits in der Ausbildung gelöst wäre, sondern dass man auch in diesem Zusammenhang das Thema Medienbildung noch einmal aufgreifen und auch die Communities ein Stück weit mit in Verantwortung nehmen müsse, aber um diese in Verantwortung nehmen zu können, müsse man natürlich auch die Räume dafür öffnen, wie wir Menschen im Kontext der Medienbildung auch unterstützten, qualifizierten, begleiteten. Für sie sei Medienbildung ein Grundbestandteil der politischen Bildung, der politischen Sensibilisierung. Sie stellte die Frage, ob die Medienbildung nicht veraltet sei für die jetzige Zeit.
Markus Beckedahl sagte, es heiße immer, man müsse dies in der Schule unterrichten – er erinnere sich an seine Schulzeit, in der man sich Titelseiten der taz oder FAZ angesehen und festgestellt habe, dass andere Fotos verwendet würden. Alles andere an Medienbildung habe er sich seitdem selbst beibringen müssen. Er habe vollstes Verständnis dafür, wenn große Teile der Bevölkerung sagten, sie hätten dafür überhaupt keine Zeit. Er habe einen Job mit dem Privileg, dass er sich den ganzen Tag mit so etwas beschäftigen könne. Das sehe anders aus, wenn man an der Kasse sitze und sich abends um Kinder, Haushalt und sonstiges kümmern müsse. Eigentlich brauche man, um ein mündiger Bürger zu sein, ein Journalismusstudium, ein Informatikstudium und ein Jurastudium. Dies werde immer unter Medienbildung zusammengefasst, aber wer vermittle uns das? Es sei dringend notwendig, aber darauf zu hoffen, sei auch ein bisschen illusorisch, weil dies nicht vom Himmel falle.
Auf die Frage der Moderatorin, wie man die Menschen noch erreiche in einer so polarisierten Situation, sagte Jeanette Hofmann, sie denke, dass man mit Nachrichtenaufklärung und Informationen Menschen nicht zurückhole, die für sich beschlossen hätten, dass das System korrupt und ein Regimewechsel erforderlich sei, oder die sympathisierten mit dem, was wir heute als illiberale Demokratien bezeichneten. Sie glaube, dass all das, was die Sender heute täten und was wir als Faktencheck bezeichneten, nur für eine ganz kleine Gruppe von Menschen relevant sei. Sie nannte als Beispiel, auf das sie selbst hereingefallen sei, dass vor einem Jahr durch die Presse gegangen sei, dass in Paris viele Bettwanzen in Hotels zu finden seien. Wenn man ein paar Monate später lese, dass dies eine Desinformationskampagne gewesen sei, sage man, man habe wieder etwas gelernt, aber dies sei nicht relevant für die eigene politische Orientierung. Aber da, wo Desinformation Ressentiments legitimiere und Diskriminierung als berechtigt erscheinen lasse, sei mit Faktenchecks nichts zu holen. Eine Abschaffung von Faktenchecks sei nicht ihre Schlussfolgerung daraus, sie glaube aber nicht, dass man mit ihnen Menschen dazu bekehre, die Demokratie wieder gut zu finden, wenn sie von der Demokratie, so wie sie jetzt sei, enttäuscht seien.
Gefragt, wie man es schaffe, sich in diesem Dschungel gut zu informieren, sagte Çiğdem Uzunoğlu, dass es vielfältige Ansätze, aber keinen pauschalen Zugang gebe, sondern verschiedene Wege. Dies sei immer abhängig davon, wen man in welcher Form erreichen wolle. Die, die man nicht mehr erreichen könne, die, die „verloren“ seien, könne man über diese Instrumentarien nicht erreichen, aber wie solle man sie erreichen? Sie glaube, dass gerade die digitalen sozialen Räume dafür hervorragende Chancen anböten und man diese Menschen über solche Kanäle erreichen könne, es bleibe die Frage nach dem „Wie“ – nicht mit den klassischen Nachrichten, wie wir sie kennten, und auch nicht mit diesen intellektualisierten Nachrichten, die sich meistens an ein gewisses Bildungsniveau richteten. Sie habe jahrelang in der Gamesbranche gearbeitet, wo man auch geguckt habe, wie man über ein solches Massenmedium Informationen und Demokratieinhalte vermitteln könne. Dies könne ein Weg sein – oder auch TikTok-Videos und anderes mehr, orientiert an der Lebensrealität der Zielgruppen, die man gerne erreichen und an die man Informationsinhalte vermitteln wolle.
Jochen Fasco, Direktor der Thüringer Landesmedienanstalt, richtete sich aus dem Publikum heraus an die Anwesenden und sagte, am Ende geschehe Bildung vor Ort, im ländlichen Raum, in Städten, in Familien und ähnlichem mehr. Man müsse in Schulen und Kindergärten gehen, Eltern in Schulen abholen, da sei das Interesse riesig. Man müsse die Themen und Kompetenzen dorthin bringen, wo man sie brauche. Damit man lerne, was Qualität und Journalismus seien. Jeder relevante gesellschaftliche Akteur müsse in den eigenen Strukturen überlegen, wie man diese Entwicklung begleite, dann könne man langsam damit anfangen, diese Gesellschaft besser zu machen. Es sei eine Holschuld der Erwachsenen, sich fit zu machen, aber eine Bringschuld von Gesellschaft und Politik, Angebote vor Ort zu schaffen.
Zur Frage, wie man Angebote besser gestalten könne, sagte Jeanette Hofmann, dass sie seit mehreren Jahren Lehrveranstaltungen an der Universität mit den sogenannten netzpolitischen fünf Minuten beginne: In der ersten Viertelstunde rede man darüber, was in der Digitalpolitik in der vergangenen Woche passiert sei. Alle Studierenden brächten eine Nachricht mit, die diskutiert werde. Am Ende des Semesters werde gefragt, ob sich wirklich etwas verändert habe. Einige ihrer Studierenden seien in diesem Bereich dann auch beruflich tätig geworden. Am Ende des Semesters wüssten die Studierenden, wie die Macht verteilt sei, welche Probleme immer wieder aufträten, und sie seien auch in der Lage, Nachrichten zu interpretieren. Sie warne aber davor, die Frage der Bildungskompetenz zu überschätzen. Wenn man sich ansehe, wer rechts wähle in Deutschland, sehe man immer wieder ähnliche Merkmale: Leute vom Land, wo keine Busse mehr führen, wo die letzte Kneipe zugemacht habe und der nächste Arzt fünfzig Kilometer weg sei. Sie könne man mit Bildungskompetenz nicht erreichen. Die verschiedenen Facetten sozialer Ungleichheit seien keine Frage der Bildung, sondern der öffentlichen Investition. Hierzu gehöre das Bildungssystem natürlich, es beschränke sich aber nicht darauf. Deshalb empfinde sie es als etwas paternalistisch zu sagen, wenn die Leute nur besser gebildet seien, wählten sie auch nicht mehr rechts. Sie hätten einfach auch eine Wut im Bauch.
Zur Frage, wie man solche Leute erreichen könne, sagte Çiğdem Uzunoğlu, dass Bildung nicht ein Allheilmittel sei, das Menschen, die eine bestimmte Gesinnung hätten, aufklären könne. Es sei eine innere oder ideologische Haltung. Aber alle hätten ein Smartphone in der Hand und man erreiche sie über soziale Medien. Sie spielten Games, seien auf TikTok oder Instagram, und wenn man diese Formate wirklich bedienen könne, könne auch Medien- oder politische Bildung niedrigschwellig und auf Augenhöhe [vermittelt werden].
Markus Beckedahl sagte, er habe das Zentrum für Digitalrechte und Demokratie gegründet, um zumindest im digitalpolitischen Bereich neue Experimente auszuprobieren, wie man zu einer informierteren Debatte kommen könne. Die Möglichkeiten seien begrenzt, man habe wenige Ressourcen, sei spendenfinanziert, es gebe nur ein kleines Team, aber die Erkenntnis sei gewesen, dass es uns als digitale Zivilgesellschaft in den letzten zwanzig, dreißig Jahren wenig gelungen sei, mehr Menschen über eine kleine nerdige Bubble hinaus zu erreichen. Man experimentiere, wie man verschiedene Themen, die bisher in einer eher akademischen Sprache diskutiert worden seien, in die Lebensrealität von Menschen hinunterbrechen könnte. Man konzentriere sich am Anfang auch auf Multiplikator*innen wie Journalist*innen, um diesen zeitnah erklären zu können, was da überhaupt passiere und wie ihre Zielgruppen davon betroffen seien. Sehr häufig sei schlechte Berichterstattung nur dem geschuldet, dass Journalist*innen nicht verstünden, worum es gehe, weil ihnen auch diese Medien- und Technikkompetenz fehle und ihnen das keiner erklärt habe. Dort setze man in der Hoffnung an, dass besser über gesellschaftliche Auswirkungen berichtet werden könne, mehr Menschen erreicht werden könnten, die sich dann auch wieder Gedanken machten, und wir alle eine informiertere Debatte führen könnten.
Die Abschlussfrage der Moderatorin lautete: Wie sieht Ihre perfekte Mediennutzung 2025 aus?
Çiğdem Uzunoğlu sagte, dass perfekte Mediennutzung für sie bedeute, die Möglichkeit zu haben, selbst entscheiden zu können, was sie sich anschauen oder anhören wolle. Sie sei ein großer Fan der Öffentlich-Rechtlichen und Mediatheken und sie würde sich wünschen, dass gerade der ÖRR viel stärker unterstützt werde dahingehend, dass er bestimmte Feeds und bestimmte Zugänge habe, wo man als User, als Community-Mitglied besser mitgestalten und mitdiskutieren und auch über das Feedback das Programm beeinflussen könne, um die eigene Wirksamkeit dort zum Ausdruck bringen zu können.
Jeanette Hofmann sagte, dass man, wenn man in den internationalen Vergleich gehe, den Unterschied sehen könne zwischen Ländern, in denen es starke Öffentlich-Rechtliche gebe, und solchen, in denen es sie gar nicht gebe oder sie nur eine marginale Rolle spielten. Sender wie Fox in den USA seien auch deshalb so sichtbar, weil es ganz wenig Gegengewicht gebe. Es gebe Länder, in denen überhaupt keine öffentlich-rechtliche Berichterstattung mehr sei – als Beispiel nannte sie Taiwan –, und die Qualität der Berichterstattung dort sei grauenhaft. Man übersehe oft, was man habe und was es auch zu verteidigen gelte. Befragt nach einer Mediennutzung, die ihr gefallen würde, sagte sie, dass sie Einzel-Abos leid sei und mit ihnen auch nichts mehr anfangen könne. Man sei nicht in der Lage, alle Medien, die man sympathisch finde, und alle Initiativen, die einem gefallen, mit einem Abo zu beglücken, das könne sich niemand leisten und auch niemand überblicken. Sie glaube, dass man neue Organisationsstrukturen für Medien brauche, und dass dies leider nicht ohne die Verlage gehe, die einfach mitdenken müssten. Das täten sie nicht und das sei ein Problem. Und worauf dies womöglich irgendwann hinauslaufe, sei, dass eine wenig mit Öffentlichkeit und qualitativ hochwertiger Berichterstattung sympathisierende Plattform komme und das alles abräume – statt dass dies die Medien selbstorganisiert täten und überlegten, was die nächste Generation sei, welche Nutzungsbedürfnisse diese habe, welche Formate sie brauche, wie man sie versorge, auch in Hinsicht auf Vielfalt, und wie man die digitalen Technologien nutze, um das anzubieten. Das passiere hier nicht, stattdessen gehe es den Bach runter und da sie als Politikwissenschaftlerin ein Interesse daran habe, dass die Demokratie überlebe und sich wandeln könne, mache sie das wirklich wütend.
Markus Beckedahl sagte, er habe jeden Tag eine Vielzahl unterschiedlicher Newsquellen, die er sich auf den unterschiedlichsten Plattformen holen müsse, und er hätte gerne einen sehr vertrauenswürdigen agent, der für ihn das alles zusammenstelle, aufbereite und ihm das so ausgebe, je nachdem, wann er Zeit habe und ob er das in Audio-, Video- oder Textform haben wolle, aber im Idealfall solle dies nicht ein agent sein, der von einem großen BigTech-Unternehmen komme, weil er diesem nicht vertrauen könne. Dies könne vielleicht eine öffentlich-rechtliche Aufgabe sein für die Zukunft – vielleicht würden das in zwanzig, dreißig Jahren die Gremien verstehen –, sich heute Gedanken zu machen, wie ein öffentlich-rechtlicher agent funktionieren könne, der für ihn diesen Newscocktail zusammenfasse und in der jeweiligen Ausgabeform vermittele.










Bilder: Tom Maelsa / Grimme-Institut