Der Höhepunkt des Objektivismus als Standard im US-amerikanischen Nachrichtenjournalismus war in den 1950er und 1960er Jahren erreicht. Nicole Hemmer sieht eine Korrelation zur Politikgestaltung in der Nachkriegszeit: weg von der leidenschaftlichen hin zu einer eher technokratischen Haltung.
In einer sehr interessanten Einführung ins Thema schreibt Nicole Hemmer über die Entstehung des Ideals der „Objektivität“ in der US-amerikanischen Presseszene. Beginnend mit der People’s Party (1890, bekannter unter dem Namen The Populists), die sich der Zeitungen der Farmers‘ Alliance bediente, um für die Anliegen der Bauern zu werben, erklärt sie, warum für all die Interessen, die nicht explizit entweder von den Republikanern oder den Demokraten vertreten wurden, eigene Publikationsformen gesucht werden mussten, um Gehör zu finden: neben frühen Zeitungen, die die Abschaffung der Sklaverei forderten (The Liberator, 1831), solche für das Frauenwahlrecht, für Abstinenz oder religiöse Erweckungsbewegungen. Denn traditionell waren die meistens Zeitungen im 19. Jahrhundert en – tweder der einen oder der anderen Partei zugehörig. Neu entstehende Parteien oder Interessengruppen mussten sich eigene Presseorgane schaffen.
„Ridiculed or dismissed in local papers as well as national magazines like the Nation, Populists had to rely on their own media to circulate information about the movement, to reinforce farmers‘ political identity, and to legitimate the movement – functions media activists would perform for the conservative movement half a century later.“
Nicole Hemmer, Messengers of the Right. Conservative Media and the Transformation of American Politics. University of Pennsylvania Press 2016 , S. 7.
Technischer Fortschritt ermöglichte die Produktion von kostengünstigen Massenblättern, Vorreitern des Boulevardjournalismus mit sensationsheischenden Schlagzeilen, Bildern und übertriebenen (erfundenen) Einzelheiten. Neben diese traten die sogenannten Muckrakers, eine Gruppe von Schriftstellern, die die Lebensbedingungen im insdustriellen Amerika untersuchen und aufdecken wollten. Sie bedienten sich der Methode der Emotionalisierung – wie ihre Kollegen von der Yellow Press -, fügten aber das Prinzip der sozialen Verantwortung (des Eintretens für bestimmte Interessen, Advocacy) und einen literarischen Anspruch hinzu.
Republican Theodore Roosevelt … was the first beneficiary of their activism. He strenghtened the federal government, particularly the executive branch, and often relied on the public outcry stirred up by muckrakers to fortify his positions.“
Ebenda.
Auf der dezidiert anderen Seite stand die Objektivität in der Berichterstattung. Adolph Ochs erwarb 1896 die New York Times und unterwarf sie von Anfang an den Prinzipien von „Sorgfalt, Fairness, Unparteilichkeit, Unabhängigkeit und Verantwortung für die öffentliche Wohlfahrt„.
Mit der zunehmenden Professionalisierung des Journalismus in der ersten Hälfte des 20 Jahrhunderts wurden diese Merkmale von Objektivität, so führt Nicole Hemmer aus, zentral für Zeitungs- und später auch für Radio- und Fernsehberichterstattung (Nicole Hemmer, Messengers of the Right. Conservative Media and the Transformation of American Politics. University of Pennsylvania Press 2016, S. 9).
„Reportage, analysis, and opinion developed into separate modes of journalistic writing, even migrating to different parts of the newspaper.“
(Ebenda.)
In dieser Zeit entstanden auch Gastkommentare (op-ed) und Meinungsseiten. Und obwohl die politische Grundhaltung von Zeitungen bekannt war (oft verbunden mit der Haltung ihrer Besitzer und Herausgeber), waren sie unabhängig von Parteien und beschränkten – im Idealfall – ihre politischen Vorlieben auf den Meinungsteil der Publikation.
Nicole Hemmer erklärt, wie das steigende öffentliche Interesse an politischen Analysen in den 1910er und 1920er Jahren von Kolumnisten bedient wurden, die entweder bei einer speziellen Zeitung oder in einem Zeitungsnetzwerk veröffentlichten. Ihre Beiträge waren als Analyse gekennzeichnet, unter dem Autorennamen veröffentlicht und in der Regel in bestimmten Sektionen der Zeitungen zu finden.
„Even as conventional just-the-facts reporting began to yield to more interpretative analysis, a process well underway by the end of the 1930s, interpretative journalism retained objective reporting’s style: impersonal narration, an emphasis on fairness and accuracy, and deference to official sources and institutions.“
Ebenda.
Die Objektivitätsstandards dominierten den Nachrichtenjournalismus; das sogenannte Muckraking als journalistischer Stil allerdings hatte den größten Einfluss auf Politik im frühen 20. Jahrhundert. „Muckrakers were key to implementing the sort of government changes Progressives sought.“ (NH, S. 9) Ihre Argumente hatten Einfluss auf die öffentliche Meinung und somit auf Teile neuer Regierungsprogramme.
Da sich Vertreter konservativer Positionen (in diesem Kontext heißt dies: konservativer als die allgemeine Haltung der Republikanischen Partei) im und nach dem Zweiten Weltkrieg weder in den Regierungsprogrammen noch in den Medien angemessen berücksichtigt fühlten, begannen sie, mithilfe dezidiert konservativer Zeitungen, Magazine und Radioprogramme gegenzusteuern.