Von Johannes Klas/ Förderschullehrer/ kreativemedienbildung.de
Geschichten werden digital:
Das Konzept „Digital Storytelling” von Joe Lambert verknüpft digitale Medien (z.B. Bilder, Musik, Klänge) mit traditionellen Erzählweisen zu einem kurzen Video, die digitale Geschichte. Typisches Kennzeichen ist das langsame animierte Bewegen und Zoomen von Bildern, auch als Ken Burns Effect bekannt. Die Anforderungen an die Technik sind gering: Ein einfacher PC, ein Mikrofon, Bilder sowie Musik kombiniert mit einer guten Idee reichen aus. Beispiele hierzu finden sich unter anderem auf den Seiten des Center for Digital Storytelling unter http://www.storycenter.org/stories.
Im englischsprachigen Raum findet man viele weitere Beispiele für Digital Storytelling:
Die BBC hatte Digital Storytelling als Bestandteil ihres Angebots integriert (Link). Die University of Huston beschäftigt sich mit dem Einsatz dieser Methode im Bildungsbereich (Link). Ebenso setzte sich 2009 in den USA das National Writing Project, ein Weiterbildungsnetzwerk für Lehrer/-innen mit dem Schwerpunkt Schreiben und Lernen, mit dem Einsatz von Digital Storytelling an Schulen (Link) auseinander.
Digital Storytelling in 7 Schritten
Das „Digital Storytelling Cookbook” von Joe Lambert (Hrsg.) liefert das „Kochrezept” zur Umsetzung einer digitalen Geschichte. Im Folgenden eine kurze Zusammenfassung der von Lambert formulierten Arbeitsschritte:
1. Den Kern der Geschichte erkennen
Der/die Erzähler/-in soll sich des wahren Gehalst seine/ihrer Geschichte bewusst werden. Ad hoc eine Geschichte zu erzählen, ist nicht gerade einfach und Lambert beschreibt die Geschichtsfindung daher auch als eine lange und intensive Phase (vgl. Lambert, 2010, 9f.).
Lambert nennt hierzu helfende Fragestellungen:
“Why this story? Why now? What makes it today’s version of the story? What makes it your version of the story? Who’s it for? Who’s it to? How does this story show who you are? How does this story show why you are who you are?” (ebd., 10)
2. Emotionen der Geschichte erkennen
Erzählungen beinhalten auch immer Emotionen, wie Furcht, Angst, Freude usw. Dieser Gefühle soll sich der/die Erzähler/-in bewusst werden:
“When we reflect on the emotions within in our stories, we realize that they can be complex, and with this realization we oftentimes discover deeper layers of a story’s meaning.” (ebd., 12)
3. Den Moment finden
Der/die Erzähler/-in soll seine/ihre Geschichte als Geschichte erzählen. Daher ist es wichtig, den Moment bzw. Höhepunkte der Erzählung, auf den die Handlungen und Geschehnisse zulaufen, zu finden. Lambert nennt folgende Orientierungsfragen:
“What was the moment when things changed? Were you aware of it at the time? If not, what was the moment you became aware that things had changed? Is there more than one possible moment to choose from? If so, do they convey different meanings? Which most accurately conveys the meaning in your story? Can you
describe the moment in detail?” (ebd., 13)
4. Die Geschichte sehen
In diesem Schritt geht es darum, Visualisierungen zur Geschichte zu finden. Lambert weist darauf hin, dass man nicht nur explizite Bilder, also das Abbild eines realen Gegenstandes oder einer Person nehmen muss. Gerade Assoziationen können den/die Erzähle/-in als auch den/die spätere/-n Zuhörer/-in tiefer in die Geschichte eintauchen lassen.
“What images come to mind when recalling the moment of change in the story? What images come to mind for other parts of the story?” (ebd., 15)
5. Die Geschichte hören
Lambert sieht eine große Bedeutung in der Sprache:
“If an image acts as the hand that leads us into the river, the voice is the riverbed below our feet.” (ebd., 18).
Die bewusst eingesetzte Stimme macht aus dem ganzen Ensemble der verschiedenen Medien erst eine Digitale Geschichte und hebt sie ab von einer kommentierten Diashow. Es soll überlegt werden, wie die gesprochene Sprache die Erzählung unterstützen kann. Die Wirkung der gesprochenen Sprache kann zudem noch durch Musik sowie Klänge akzentuiert werden und unterstreicht die emotionale Bedeutung der Erzählung.
6. Die Geschichte zusammensetzen
Nun geht es darum, alle Inhalte zusammen zu setzen: Bilder, Sprache und Musik. Lambert empfiehlt das Anlegen eines Storyboards, ähnlich wie bei der Erstellung eines Filmes. Durch geschicktes Zusammenführen der verschiedenen Medien soll der Spannungsbogen der Geschichte unterstützt werden.
7. Veröffentlichen der Geschichte
Die digitale Geschichte ist fertig und kann veröffentlicht werden. Dies kann eine private Vorführung sein, sie kann aber dank YouTube auch der breiten Öffentlichkeit präsentiert werden.
Wozu das ganze?
Die Methode eignet sich, um Neue Medien in den Unterricht zu integrieren sowie zur Förderung von Sprach- und Schreibprozessen. Ebenso werden die Fähigkeiten zum Geschichtenerzählen als auch zur Selbstreflexion ausgebaut. Die Methode ist handlungsorientiert und ermöglicht einen schülerzentrierten Unterricht, in dem die Eigenaktivität der Schüler im Mittelpunkt steht.
Die Herangehensweise nach Lambert setzt den Fokus auf die Selbstreflexion und auf eine biographische Erzählung. Die Methode kann aber auch für Sachthemen eingesetzt werden. So kann die klassische Wandzeitung zur Dokumentation von Arbeitsergebnissen im Kontext von Unterricht mit dieser digitalen Form der Darstellung erweitert werden: Fotos von Arbeitsergebnissen bzw. der Arbeitsschritte werden durch die Schüler mit einem Audiokommentar versehen und können im Abschluss einer Unterrichtsreihe präsentiert werden. Die von Lambert formulierten Schritte müssen je nach Anwendungsszenario daher entsprechend modifiziert werden.
Es ist ein spannender Ansatz mit vielfältigen Anwendungsszenarien sowie eine Integrationsmöglichkeit
von kreativer Medienbildung im Unterricht und im außerschulischen Bereich.
Die Technik
Die notwendigen Materialien setzen sich aus Fotos, Zeichnungen und Musik zusammen.
Es ist dabei unbedingt auf das Urheberrecht zu achten (für frei verwendbare Medien siehe Links am Ende des Artikels). Für eine gute Aufnahmequalität empfiehlt sich ein externes Mikrofon.
Fehlt noch die Software: Hier gibt es verschiedene Wege
Sehr gut eignet sich das Programm Microsoft Photo Story 3. Das Programm ist zwar schon älter, läuft aber auch unter der aktuellen Windows Version Windows 7.
In Microsoft Powerpoint können einzelne Folien „vertont” bzw. mit einen Audiokommentar versehen werden. Dies funktioniert sehr gut. Bei älteren Versionen von Powerpoint hat man aber den Nachteil, dass man kein Video erhält (um es zum Beispiel bei YouTube hochzuladen oder über den DVD-Player abzuspielen). Erst Powerpoint 2010 enthält eine Funktion zum Umwandeln von Präsentation in Videodateien.
Ebenso bietet sich Microsofts Windows Live Movie Maker (kostenlos enthalten in Microsoft Live Essentials) an. Man erhält am Ende ein Video, das man aus dem Programm heraus direkt auf DVD brennen oder bei YouTube hochladen kann. Für die Audioaufzeichnung nutzt man ein separates Programm: Audacity ist sogenannte kostenlose Open Source-Software. Nach einer kurzen Einarbeitungszeit kann man auf einfache Weise Audiomaterial (Musik, Sprache usw.) bearbeiten.
Es gibt natürlich noch weitere Programme, die sich zur Erstellung eignen. Es ist aber weniger eine Frage der Technik, sondern vielmehr mit welchem Werkzeug Lehrer/-innen und Schüler/-innen am effektivsten arbeiten können.
Links
Zum Nachlesen
„Digital Storytelling Cookbook” ist leider nicht mehr zum freien Download verfügbar. Unter http://www.storycenter.org/books/ kann es für 20 US-Dollar bestellt werden. (Nachtrag vom 19.5.2012)
Blogeintrag auf DigitalPro, Beat Küng, „Geschichten erzählen und Informationen vermitteln – Digital Storytelling”
Software
Microsoft Photo Story 3
Ein Tutorial zu Microsoft Photo Story auf Medienkindheit.de
Audacity http://audacity.sourceforge.net
Tutorial zu Audacity auf Lehreronline
Windows Live Essentials http://explore.live.com/windows-live-essentials
Tutorial zu Windows Live Movie Maker
Teachers Guide, Microsoft
Kostenlose Medien (jeweils auf die Bedingungen achten!)
Freie Musik auf Jamendo http://www.jamendo.com/de/
Zeichnungen und Symbole auf Openclipart.org http://www.openclipart.org/
Geräusche freesoundproject.org http://www.freesound.org/
Johannes Klas, Jg. 1980, Studium der Sonderpädagogik auf Lehramt, arbeitet als Förderschullehrer an einer Gesamtschule und ist Medienberater im Kompetenzteam der Städteregion Aachen. Darüber hinaus schreibt er für den Blog kreativemedienbildung.de. Zuvor war er mehrere Jahre als freier Dozent im Bereich Medienbildung tätig.
In der Arbeit mit Medien sieht er die Chance, dass Menschen an Kultur und Gesellschaft partizipieren können. Medien bieten hierzu die Werkzeuge, persönliche Anliegen eine Ausdrucksform zu verleihen und sie öffentlich zu machen. Die daraus entstehenden Medienprodukte bieten Anlass um mit anderen Menschen in Dialog zu treten.