Wir freuen uns sehr über Ihr Interesse an unserer Veranstaltung „Rechtspopulismus und die Verantwortung der Medien“ und laden Sie dazu ein, den vier Gesprächsrunden in Gänze oder in Teilen zu folgen. Die von uns geladenen Expertinnen und Experten differenzieren unterschiedlichste Aspekte dieses demokratie- und gesellschaftsrelevanten Themenfeldes aus und diskutieren aus der Perspektive der Programmverantwortung, der Medienkritik, der Wissenschaft, der Medienbildung sowie in gesellschaftlichen und politischen Verantwortungsdimensionen.
Bevor Sie sich den Gesprächsrunden widmen, möchte ich einige Gedanken, die uns leiten, mit Ihnen teilen. Das Grimme-Institut beschäftigt sich seit über fünfzig Jahren mit den Wechselwirkungen zwischen Massenmedien – zunächst anlog im Fernsehen und Radio und heute digital auf Plattformen – und gesellschaftlichen Kommunikations- und Meinungsbildungsprozessen und die möglichen Auswirkungen auf unsere freiheitliche Demokratie. Normative Leitlinien, die auf den Werten des Grundgesetzes gründen, bilden einen zentralen Maßstab des Grimme-Mediendiskurses. Insofern hat sich das Grimme-Institut sehr früh mit Rechtsextremismus sowie den Folgen der Radikalisierung rechter Parteien und Gruppierungen sowie ihren analogen und digitalen Kommunikationsstrategien auseinandergesetzt.
Dass der Verbreitung von rechtsextremen, antisemitischen und fremdenfeindlichen Gedanken sowie Verschwörungserzählungen auch Taten folgen, ist spätestens 2019 mit dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübke durch einen Rechtsextremisten ins öffentliche Bewusstsein gedrungen. Entsetzlicherweise folgen weitere rechtextremistische Terrorakte, der Mordanschlag auf die Synagoge in Halle an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, 68 Mordversuche, zwei Menschen wurden ermordet. In Hanau wurden neun Bürger(innen) mit Migrationsgeschichte ermordet. Hass und Hetze im Netz, das Verächtlichmachen unserer demokratischen Institutionen und das Diffamieren relevanter Leitmedien, vor allem des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, als „Lügenpresse“ bieten einen demokratiegefährdenden Resonanzboden. Überdies werden Politikerinnen und Politiker und engagierte Menschen aus der Zivilgesellschaft in furchtbarer Weise bedroht und eingeschüchtert.
Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, dieser dramatischen Entwicklung entgegenzutreten, an erster Stelle steht der Staat mit seinen Strafverfolgungsbehörden. Ursachen und Verantwortungsdimensionen aufzuzeigen erfolgt auf unterschiedlichen Wegen, durch die einschlägigen wissenschaftlichen Disziplinen, NGOs und Aktionen der Zivilgesellschaft (siehe unten die Beispiele aus dem Grimme Online Award und dem Grimme-Preis). Eine zentrale Funktion haben die Medien vor allem bei der Berichterstattung, Reportagen und Dokumentationen. Die reichweitenstarken Leitmedien stehen dabei nicht selten im Spannungsfeld zwischen notwendiger Berichterstattung und dem Problem, nicht als Resonanzverstärker radikaler Kommunikationsstrategien zu dienen. Solchen kommunikativen Wechselwirkungen entgegenzuwirken, ohne auf Berichterstattung und Information zu verzichten, fordert nicht nur den Nachrichtenjournalismus der Gegenwart in jeder Hinsicht heraus.
Mit ihren ausdifferenzierten und freien Ausdruckmöglichkeiten spielt Fiktionalisierung der Thematik eine nicht zu unterschätzende Rolle, denn sie erreicht Rezipienten auf spezifische Art und Weise.
Beispielhaft sei hier auf „NSU Die Täter – Heute ist nicht alle Tage“ hingewiesen. Die Grimme-Preis-Jurybegründung aus dem Jahr 2017 lautet wie folgt: „Ein Gewaltakt von Film, der bedingungslos die Wirkungszusammenhänge des deutschen Rechtsradikalismus‘ aufzeigt wie keine Fernsehproduktion zuvor.“
Über den Medienqualitätsdiskurs hinaus hat das Grimme-Institut die Veranstaltungsreihe „Rechtspopulismus und die Verantwortung der Medien“ initiiert. Dieser Diskurs soll unter anderem einen Beitrag dazu leisten, die Wechselwirkungen zwischen der Radikalisierung politischer und gesellschaftlicher Kommunikation und der Arbeit relevanter Massenmedien wie des ÖRR und von Zeitungsverlagen zu beleuchten. Im Herbst 2019 startete die Reihe in Leipzig und sollte im März 2020 in Dortmund fortgesetzt werden. Corona-bedingt musste die Veranstaltung ausfallen. In Zwischenzeit wurde der Bereich als Jahresthema hier im Grimme-Lab bearbeitet.
Die heute veröffentlichen Gesprächsrunden schließen an Leipzig an und berücksichtigen aufgrund eines aktualisierten Programms die Entwicklungen der letzten anderthalb Jahre. Die Vertiefung der Thematik aus wissenschaftlicher und Praktiker*innenperspektive soll die Entwicklungen der vergangenen Jahre aufzeigen und mögliche konkrete Maßnahmen identifizieren, um der Radikalisierung entgegenzuwirken – im Kontext der redaktionellen Arbeit, der Journalist*innenausbildung, des Regional- und Lokaljournalismus, der Medienbildung und der Politik.
Herzlichen Dank an unsere Moderatorin Ninia LaGrande und an alle unsere Gesprächsteilnehmenden.
Mehr zum Thema: Grimme Online Award und Grimme-Preis / Nominierte und Preisträger(innen) (hierbei handelt es sich selbstverständlich nur um eine kleine Auswahl):
Grimme-Preis:
ProSieben Spezial: Rechts. Deutsch. Radikal. (pqpp2 für ProSieben) (2021)
Die Besondere Journalistische Leistung für Georg Restle (2020)
Die Story im Ersten: Am rechten Rand (NDR/MDR) (2019)
Mitten in Deutschland: NSU (Die Täter – Heute ist nicht alle Tage) (SWR/ARD Degeto/MDR) (2017)
Grimme Online Award:
190220 – Ein Jahr nach Hanau (2021)
Halle nach dem Anschlag (2021)
NSU-Watch (2020), insbesondere die Protokolle