Lieber Jonas Fegert,
digitale Souveränität ist in aller Munde. Was verstehen Sie unter diesem Begriff und warum brauchen wir digitale Souveränität?
Digitale Souveränität bedeutet für mich, sich bewusst zu machen, wo Abhängigkeiten in Hard- und Software bestehen – und genau zu prüfen, in welchen Bereichen wir uns diese leisten können und wo wir gezielt mehr Unabhängigkeit benötigen.
In meiner Arbeit am House of Participation des FZI Forschungszentrums Informatik liegt der Fokus insbesondere auf Online Social Networks und (generativer) KI – und auf den Plattformbetreibenden, die hinter diesen Technologien stehen. Dabei geht es um zentrale Fragen: Welche Auswirkungen haben die Mechanismen dieser Plattformen auf unser gesellschaftliches Zusammenleben, auf unsere demokratische Kultur und auf staatliche Handlungsfähigkeit? Und welche dieser Auswirkungen halten wir als Gesellschaft für tragbar und welche auch nicht? Digitale Souveränität heißt für mich deshalb nicht nur Kontrolle über Technologien, sondern auch die Fähigkeit, Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass digitale Infrastrukturen unsere demokratischen Werte stützen, anstatt sie zu gefährden.
Was sind derzeit die größten Herausforderungen im Bereich der digitalen Souveränität?
Die Herausforderungen im Bereich der digitalen Souveränität sind vielfältig. Ein Teil liegt klar im Feld der Cybersicherheit: Unternehmen, staatliche Institutionen, zivilgesellschaftliche Organisationen und Individuen müssen wirksam vor Hackerangriffen und digitalen Sabotageakten geschützt werden.
Mich beschäftigt jedoch besonders ein anderer Bereich: Foreign Information Manipulation and Interference (FIMI) – also die gezielte Beeinflussung von Informationsräumen durch ausländische Akteure. Die zentrale Frage ist, wie wir uns als Gesellschaft vor dieser Einflussnahme schützen können. Wir dürfen uns hier nichts vormachen: Wir erleben eine Form hybrider Kriegsführung, etwa von russischer Seite, die nicht nur Teil des Krieges gegen die Ukraine ist, sondern auch darauf abzielt, mit falschen Erzählungen über demokratische Politiker:innen, Parteien und zivilgesellschaftliche Organisationen und Medien Skepsis und Spaltung zu erzeugen. Ziel ist es, Vertrauen in demokratische Institutionen zu untergraben. Denn wenn nicht mehr unterschieden werden kann, was wahr und was falsch ist, wird die Grundlage für informierte Entscheidungen erodiert – und damit das Fundament unserer Demokratie geschwächt.
Welche Rolle spielen Medien bei der Sicherung der digitalen Souveränität?
Medien spielen meines Erachtens für den Aufbau einer kritischen Urteilskraft eine Schlüsselrolle. Das Konzept des democratic backsliding, wie es Levitsky und Ziblatt beschreiben, nennt Angriffe auf die freie Medien als eines der zentralen Anzeichen für autoritäre Tendenzen. Ein digital souveräner Staat braucht deshalb nicht nur Online Social Networks, sondern auch eine freie, unabhängige und vielfältige Medienlandschaft, deren Legitimität nicht ständig infrage gestellt wird. In besonders zugespitzter Form sehen wir derzeit in Deutschland und auch anderenorts rechtsextreme Kampagnen gegen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die genau diese Legitimität angreifen. Aber wir dürfen uns nicht täuschen: Solche Angriffe betreffen nicht nur die Öffentlichen, wie wir es aktuell in den USA beobachten können. Medien, die unabhängig arbeiten können, investigativ recherchieren und Fakten checken, sind daher ein zentraler Pfeiler der digitalen Souveränität und Demokratie – und damit eine Verteidigungslinie gegen Formen von democratic backsliding.
Welche Verantwortung tragen Medienhäuser und Journalist:innen – und welche konkreten Schritte würden Sie sich von ihnen wünschen, um digitale Souveränität zu stärken?
Ich sehe, dass sich hier gerade viel bewegt – und dennoch gibt es einige Punkte, die ich mir von Medienhäusern und Journalist:innen wünsche. Ein Blick in die USA zeigt, wie Häuser wie die New York Times erfolgreich eigene digitale Angebote entwickeln und sich damit aus der Abhängigkeit von großen Plattformprovidern lösen können. Gleichzeitig erleben wir, dass sich Medienhäuser in neue Abhängigkeiten von großen KI-Unternehmen begeben, wo es bislang schwer absehbar scheint, welche neuen Abhängigkeiten daraus folgen.
Was mir Mut macht, ist die starke Szene im deutschen Datenjournalismus, etwa Christina Elmer und Hendrik Lehmann, die mit innovativen Ansätzen und visuell ansprechenden Aufbereitungsformen Journalismus für ein breiteres Publikum erlebbarer macht. Was mir hingegen oft in Deutschland fehlt, ist ein kritischer Tech-Journalismus, der Funktionsweisen und Machtstrukturen im Digitalen hinterfragt und aufzeigt. Es geht darum, zu verstehen, wie digitale Geschäftsmodelle funktionieren und welche Auswirkungen ihre Plattformmechanismen haben. Ein Beispiel: Nach der Übernahme von Twitter durch Elon Musk wurde viel über den Wegfall des blauen Verifizierungsbuttons berichtet. Weniger beleuchtet wurde jedoch, wie sich die veränderten Ranking-Algorithmen auf die Diskursqualität auswirkten. Solche Entwicklungen haben ganz konkrete gesellschaftliche Folgen und ich wünsche mir mehr Berichterstattung, die genau hier ansetzt – gerne auch in Kooperation mit Forschenden.
Welche Impulse kann die Wissenschaft zur Sicherung der Digitalen Demokratie geben?
Ich komme ursprünglich aus der Politikwissenschaft und habe am Karlsruher Institut für Technologie in der Wirtschaftsinformatik promoviert, wo ich heute eine Forschungsgruppe leite. Meine Arbeit verstehe ich als Brücke zwischen diesen beiden Forschungswelten. Wir beschäftigen uns damit, wie Demokratien im Digitalen resilienter aufgestellt werden können: Welche Plattformmechanismen und -effekte schaden ihnen – und welche Maßnahmen können wir proaktiv entwickeln, um dem entgegenzuwirken? Ein wichtiger Teil ist auch die Frage, wie sich Data-Science-Methoden, die in der Wirtschaft oft etabliert sind, nutzen lassen, um gesellschaftliche Polarisierungstendenzen zu messen. Wir verknüpfen beispielsweise repräsentative Paneldaten mit Nachrichtenereignissen, um zu untersuchen, wie sich bestimmte News-Events auf die gesellschaftliche Lage auswirken. Darüber hinaus entwickeln wir am FZI auch konkrete Anwendungen: In einem BMFTR-geförderten Projekt haben wir eine erklärbare KI gebaut, die Desinformation anhand von Stilmerkmalen und psychologischen Mustern erkennt und Nutzende transparent darüber informiert, warum es sich möglicherweise um Desinformation handelt. In einem EU-Projekt (TWON) bauen wir digitale Zwillinge von Online Social Networks, um zu simulieren, wie Änderungen an Plattformmechanismen die Debattenkultur beeinflussen.
Diese Arbeit empfinde ich als sehr erfüllend – nicht nur Probleme zu benennen, sondern in Zusammenarbeit mit Zivilgesellschaft und Unternehmen auch konkrete Lösungen zu entwerfen, die die Stabilität unserer Demokratie stärken.

Jonas Fegert leitet das House of Participation am FZI Forschungszentrum Informatik und ist Senior Expert für „Digital Democracy & Participation“.
Er promovierte in Wirtschaftsinformatik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) mit einem Forschungsaufenthalt an der University of Southern California, zuvor studierte er Politikwissenschaft, Governance und Public Policy.
Seit 2019 am FZI, verantwortet er Projekte zu gesellschaftlicher Polarisierung, Desinformationsbekämpfung, digitaler Bürgerbeteiligung. Zuvor war er im Deutschen Bundestag tätig und am Aufbau des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks beteiligt.