Markus Beckedahl, der Co-Gründer der re:publica und Gründer des Zentrums für Digitalrechte und Demokratie, sprach zum Thema „Digitale Souveränität neu denken: Wie eine demokratische und gemeinwohlorientierte digitale Infrastruktur gelingen kann“.
Er sagte, dass er sich freue, dass dieses Thema [der digitalen Souveränität] mit der Veranstaltung so prominent und auch zur richtigen Zeit gesetzt sei, da habe man ein gutes Gespür gehabt. Sein Thema heute sei: Wie kommen wir da raus? Man habe diese enorme Machtkonzentration schon gehört, wenige Unternehmen, teilweise eine Hand einzelner Menschen kontrolliere die Art und Weise, wie sich Öffentlichkeit konstituiere. Mark Zuckerberg alleine kontrolliere und bestimme, wie Meta funktioniere, also WhatsApp, was die Anwesenden wahrscheinlich alle nutzten, „sollten Sie nicht, aber tun Sie leider wahrscheinlich“, Instagram, Facebook und was es noch so gebe.

Elon Musk habe Twitter gekauft, für, so habe man damals gedacht, unvorstellbar viel Geld. Er habe die Plattform im Inneren manipuliert, er habe rechtsradikale Positionen auf die Überholspur geschickt. Jetzt habe man eine Diskursverschiebung nach rechtsradikal außen global auf dieser Plattform erlebt. Beckedahl sagte, er habe kein Verständnis dafür, dass Medien dort immer noch aktiv seien, „gehen Sie da runter, Sie stärken nur die Macht von Elon Musk“, aber – das sei das Traurige im Nachhinein – Elon Musk habe daraus noch Gewinn gezogen. Viele hätten damals gelacht über 44 Milliarden Dollar für eine Plattform, er habe allein in diesem Jahr das Mehrfache an Gewinn herausgeholt.
Diese Plattformen, von denen wir uns abhängig gemacht hätten, würden kontrolliert von einzelnen Personen, sie seien keine neutralen Kanäle, das hätten wir alle schon gehört und wir könnten auch nicht mehr ausschließen, dass diese Plattformen nicht aus ideologischen Gründen gezielt manipuliert würden – weil Algorithmen die Art und Weise, wie wir Realität sehen und wahrnehmen, bestimmten, und wer sie kontrolliere, kontrolliere die öffentliche Wahrnehmung.
Es gebe in einem Buch der Facebook-Whistleblowerin Sarah Wynn-Williams, „Careless People“, eine Stelle, wo sie beschreibe, dass sie in einer Boardsitzung von Meta gewesen sei und dort hätten Peter Thiel und Marc Andreessen, „noch so ein venture capitalist, der gerade TikTok kaufen will“, diskutiert, ob man nicht in europäischen Staaten Parteien wie AfD oder Front National stärken solle über die eigenen Algorithmen, um sich ein besseres Regulierungsklima zu verschaffen. Und dies sei [im Buch] so formuliert, dass man davon ausgehen könne, dass sie da auch in diese Richtung entschieden hätten, „und wir sollten davon ausgehen, dass sie es tun, bis wir das Gegenteil bewiesen haben“. Dies könnten wir im Moment nicht und dies sei ein großes Problem. Was, wenn alles kippe? Wir müssten leider aufhören, Dystopien als hypothetisch zu betrachten, die Realität habe die Fiktion längst eingeholt in diesem Jahr. Was passiere, wenn Plattformen journalistische Inhalte noch stärker diskriminierten, was, wenn bei einem politischen Rechtsruck Pressefreiheit systematisch abgebaut werde? Was, wenn Informationsfreiheitsgesetze, Pressegesetze, Datenschutzstandards abgeräumt würden? In einem Klima der Gleichgültigkeit, „was ist denn das überhaupt?“.
Wir kennten die autoritären Playbooks, wir sähen sie gerade in den USA, das sei offen dokumentiert und wir sähen in real time, wie das Ganze passiert. Wir hätten das auch schon in Ungarn, früher, sehen können, das habe uns nicht interessiert, „war ja nur nebenan“.
Eigentlich führten wir eine alte Debatte, schon Anfang der 2000er habe man darüber gestritten, ob unsere Infrastrukturen der Verwaltung sich weiter von Microsoft abhängig machen oder auf eine Alternative wie Linux setzen sollten. Es sei um Lizenzkosten gegangen, um Herstellerunabhängigkeit, um Wahlfreiheit, um die Kontrolle über die eigenen Infrastrukturen. „Doch der Aufwand war zu groß. Alles kompliziert. Microsofts Lobbyarbeit siegte, das Monopol wuchs.“ Im Moment könne man die Abhängigkeit von Microsoft in der öffentlichen Verwaltung auf ca. eine Milliarde Euro Lizenzkosten pro Jahr beziffern, die wir einfach mal für die Nutzung der Microsoft-Infrastruktur überwiesen. Und dann habe man noch nicht einmal die Kontrolle darüber. Dieses Geld könnten wir auch in quelloffene, eigene Infrastrukturen investieren, „in Infrastrukturen, die wir betreiben, wo wir die Wahlfreiheit haben, wo wir auch eigene Unternehmen in der europäischen Union, die Open-Source-Produkte anbieten, stärken könnten, um eigene Infrastrukturen zu finanzieren. Das machen wir, aber zu einem Bruchteil“.
Deswegen, so Beckedahl, sei er auch sehr enttäuscht gewesen von dem Digitalgipfel der Bundesregierung in dieser Woche, die Probleme seien offensichtlich erkannt worden, aber wenn man sich die Antworten anschaue, da sei der ganze Ballon irgendwie zerplatzt. „Keine Antworten da. Außer könnte man mal, sollte man mal, müsste man mal. Das höre ich leider seit vielen, vielen Jahren.“ Wir hätten schon einmal eine Situation gehabt, in der auch die Bundesregierung den Digitalgipfel genutzt habe, um über digitale Souveränität zu sprechen, das sei vor zwölf Jahren gewesen, wer erinnere sich noch an die Snowden-Enthüllungen? Damals sei dokumentiert worden, dass westliche Geheimdienste, vor allem die NSA, alles überwachten, was ginge, und amerikanische Plattformen der NSA Zugang zu all ihren Datenbanken geben müssten, „ohne, dass man darüber reden kann, Geheimgesetze und so weiter“. Europäische Datenschutzrechte gälten dort schlicht nicht. Es habe zwei EuGH-Entscheidungen gegeben, wo Datenabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA für illegal erklärt worden seien, weil die USA uns keine Datenschutzrechte gewährleisten könnten. Das ginge einfach nicht, „weil unsere Daten sind dort einfach vogelfrei“.
Vor zwölf Jahren sei kurz diskutiert worden, ob man nun eigene europäische Hard- und Software-Infrastrukturen aufbauen solle, aber die Idee sei verpufft, aus Bequemlichkeit, „weil das doch unsere Freunde waren – außerdem: Viele verstanden das auch nicht so ganz“. Stattdessen sei die Abhängigkeit noch größer geworden, alles sei in die Cloud gewandert, die wiederum von drei Unternehmen kontrolliert werde: Google, Amazon, Microsoft in einem Oligopol. Auch wenn bekannt gewesen sei, dass der US-Cloud Act kein deutsches Rechenzentrum schütze, wenn US-Sicherheitsbehörden bei uns Zugriff auf eine Google Cloud in Frankfurt haben wollten. „Trotz DSGVO, alles egal, kann man daran glauben, in der Realität würde ich auf Glauben nicht hoffen.“
Man nehme das Risiko der Exportkontrollen: Donald Trump könne uns erpressen, dass keine Updates aus Gründen einer diffusen nationalen Sicherheit mehr exportiert werden dürften. Dies sei real. Viele sagten, keine Panik, das werde er schon nicht machen. Oder? „Viel Spaß mit der IT-Sicherheit, wenn Sicherheitslücken nicht mehr gestopft werden können. Machen Sie sich schon mal Gedanken über eine Exitstrategie, die Sie hätten gestern starten müssen. Wenn Sie heute nicht starten damit, dann haben wir morgen keine Wahlfreiheit.“
Lange habe die Hoffnung auf der Europäischen Union geruht. Man habe den Digital Services Act, die Datenschutz-Grundverordnung, Digital Markets Act, AI Act – eigentlich starke Werkzeuge, mit Schwächen im Detail. Man habe sie mit dem Ziel geschaffen, Macht zu begrenzen, Demokratie zu schützen, Meinungsfreiheit und Wettbewerb zu sichern, doch sie würden kaum konsequent angewandt, vor allem nicht gegen Konzerne, die unsere Märkte dominierten. Die Datenschutz-Grundverordnung werde vor allem in Irland durchgesetzt wegen des Standortprinzips. Irland habe gerade die ehemalige Meta-Europa-Lobbyistin als Datenschutzbeauftragte ernannt. Da könne man wenigstens sagen, sie wisse, wem sie ihre Briefe schicken solle. „Ich habe nicht das Gefühl, dass meine Rechte, unsere Rechte dort ausreichend vertreten werden.“
Die Tech-Milliardäre hätten sich unter den politischen Schutzschirm von Donald Trump geflüchtet, und dieser wirke. Sobald Brüssel Regulierungen durchsetzen wolle, drohe Washington mit Autozöllen. Hier räche sich ein Problem, das man sich selbst geschaffen habe, indem man die EU-Kommission beauftragt habe, die Regulierungen durchzusetzen, während der eine Flur der EU-Kommission diese Regeln durchsetzen wolle, sage der andere, „wir stehen hier gerade in Zollverhandlungen“. Hier zeige sich, dass es nicht um Technik, sondern um Macht gehe. Aktuell sei von der EU-Kommission angekündigt worden, unsere Schutzrechte im Namen einer Entbürokratisierung namens Digitaler Omnibus weiter zurückzunehmen, bevor sie konsequent durchgesetzt würden – leider weit vorne dabei: die Bundesregierung. Alle fielen hier auf ein Narrativ von BigTech herein: dass weniger Regeln mehr Innovation brächten. Dies stärke aber vor allem die Großen. „Am lustigsten ist dann immer, wenn jemand sagt: aber in China. Wir müssen ja gegen China innovativ bleiben. China hat viel strengere Regularien als wir sie haben, und sie sind trotzdem innovativer.“ Es lege nicht an den Regeln, es habe viele andere Gründe, warum wir nicht innovativ seien.
Und selbst eine starke Durchsetzung von DSA und DMA würden nicht ausreichen, weil ein Kernproblem das der personalisierten Überwachung zum Zwecke der Profilbildung, der personalisierten Werbung sei. Man sehe die Folgen: Polarisierung, Desinformation, Akteure, die im Kampf um Aufmerksamkeit jede Grenze überschritten und sich diese Systeme zunutze machten. Wir bräuchten auch ein anderes Steuerrecht, warum eröffne ein deutscher Finanzminister ein Google-Rechenzentrum, bedanke sich und verzichte gleichzeitig darauf, Google angemessen zu besteuern? Würde man sie angemessen besteuern, könnten wir uns unsere eigenen Rechenzentren leisten statt die Marktmacht einzelner Konzerne weiter zu stärken. Doch Regulierung reiche allein nicht aus. „Können wir uns überhaupt noch demokratische Öffentlichkeiten jenseits von BigTech vorstellen? Oder haben wir uns damit abgefunden, dass alle unsere Infrastrukturen in der Hand von durchgeknallten Milliardären liegen?“
Wir bräuchten also Alternativen. Wir bräuchten digitale Öffentlichkeiten jenseits der überwachungskapitalistischen Plattformlogik. Man müsse digitale Infrastrukturen neu denken als Räume für Debatten, Austausch, Informationen, die nicht gebaut sind, um unsere Aufmerksamkeit zu fesseln, nicht privatisiert sind, gemeinwohlbetrieben werden, demokratisch kontrolliert werden, staatsfern finanziert und offen betrieben werden. Solche Infrastrukturen entstünden zwar von selbst, aber nur in kleinen Nischen. Sie bräuchten Investitionen, politische Unterstützung, eine Vision.
Es gebe diese Ansätze, Mastodon, das sogenannte Fediverse, maßgeblich in Deutschland als Open Source entwickelt, ein paar Millionen Nutzer(innen). Bluesky, eine Abspaltung des früheren Twitters, das sich in Richtung Dezentralität und offene Standards entwickle. Die Nutzung von offenen Standards bei solchen Plattformen ermögliche eine offene Kommunikation, Interoperabilität über Technikgrenzen hinweg und verhindere vor allem Machtkonzentration. In einer idealen Welt würden öffentlich-rechtliche Medien in solchen Systemen aktiv mitentwickeln, als Teil ihres Auftrags zur Technologieneutralität. Es gebe erste Schritte wie Public Spaces Incubator, ein tolles Projekt, leider noch unterfinanziert, hier könne man mehr Geld hineinstecken. Es gebe Ideen von einer europäischen Plattform. „Ich finde das eine gute Idee, aber anders gedacht, als hier immer diskutiert wird. Wenn von einer europäischen Plattform gesprochen wird, stellen die alle so einen monolithischen Facebook- oder Twitter-Klon vor, das wird nicht funktionieren. Zerredet in Gremien, können sich alle schon vorstellen.“ Wir bräuchten keinen Kathedralenbau, wir bräuchten einen Basar. Vernetzte Systeme auf Basis von offenen Protokollen. Mediatheken könnten Kommentar- und Diskursfunktionen einbauen. Warum müssten wir auf YouTube oder Facebook über Sendungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks diskutieren, wenn es auch in den eigenen Mediatheken funktionieren könnte? Man könne diese Mediatheken auch öffnen und die Nutzeraccounts, die wir dort alle gerade anlegten, um unsere Mediatheken zu personalisieren, als Nutzeraccounts in solchen offenen System nutzen. Öffentlich-rechtliche Konten könnten die Grundlage dafür sein, datenschutzkonform, demokratisch und unabhängig.
Was fehle dazu? Ein strukturiertes Förderprogramm mit festen Haushaltstiteln, um Innovationsförderung für kleine Open-Source-Projekte zu gewährleisten. Es gebe den Prototype Fund vom Forschungsministerium als Vorbild, Sovereign Tech Agency vom Wirtschaftsministerium, die Fediverse Fellowships des SWR X Labs, kleine Beispiele, die zeigen, Innovationsförderung könne funktionieren. Wir müssten diese offenen Systeme einfacher machen, nutzerfreundlicher, man brauche Usability-Förderung für Open Source. Beckedahl sagte, man brauche auch ein Plus-1-Prinzip: Warum kommunizierten alle Anstalten, aber auch der Staat, über X, über TikTok und so weiter? Warum gebe man nicht gemeinwohlorientierten Alternativen eine Chance, indem wir den Staat verpflichteten, in seiner Öffentlichkeitsarbeit, aber auch die öffentlich-rechtlichen Anstalten, für jede Sendung, die bei Facebook, bei X einen Account betreibe, selbstverständlich auch eine datenschutzfreundliche Alternative bereitzustellen. Es könne so einfach sein, man müsse es nur wollen.
Man brauche Gemeinnützigkeit für Open-Source-Infrastrukturen, auch Gemeinnützigkeit für Journalismus, zwei Sachen, für die man sich einsetzen könne, denn diese Plattformen würden teilweise ehrenamtlich betrieben, aber sie könnten keine Spenden dafür nehmen, weil Finanzämter nicht verstünden, was Open Source sei, und man könne noch so ehrenamtlich Server betreiben, aber Server kosteten etwas, und wenn man dafür Spenden haben wolle, „dann erklären Sie das mal Ihrem Finanzamt“. Wir als Zivilgesellschaft stünden auch vor der Herausforderung, wir müssten neue Narrative setzen, wir müssten die Frage stellen, welchen technologischen Fortschritt wir wollten. „Wollen wir Technologien, die der Allgemeinheit dienen, oder solche die, die die Abhängigkeiten vertiefen und den Energieverbrauch hochtreiben?“
Medien müssten lernen, digitale Narrative kritisch zu hinterfragen. Viel zu lange seien gesellschaftliche Fragen der Digitalisierung als Nerd-Thema abgetan worden. In dieser Woche hätten, so glaubt Beckedahl, auch verschiedene Politikredaktionen mitbekommen, dass es auch ein Politikthema sein könnte. Vielleicht baue man in den nächsten Jahren ein bisschen Kompetenz in diese Richtung auf. Viel zu lange seien die Pressemeldungen der Techkonzerne als Fortschrittsgeschichten nacherzählt worden, anstatt sie journalistisch einzuordnen, weil man sie nicht verstanden habe, weil einem auch die Technikkompetenz gefehlt habe, weil diese Techkonzerne auch keine Nachfragen zugelassen hätten außerhalb ihrer Top-down-Kommunikation.
Digitale Souveränität klinge sperrig, aber sie sei eine der großen Schlüsselfragen unserer Zeit: Wer kontrolliere unsere Infrastrukturen? Wer bestimme über die Technologien, mit denen wir arbeiten, kommunizieren, lieben, lernen, uns organisieren, „und warum sind wir es nicht selbst“?
Wir hätten die Möglichkeit, digitale Öffentlichkeiten neu zu gestalten, demokratisch, offen, gemeinwohlorientiert, aber wir müssten sie uns erstmal zurückholen. Und zwar jetzt.