Wolfram Weimer, der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, begann seine Keynote mit der Einschätzung, dass viele der Anwesenden sich in einer grundlegenden Einstellung einig seien: dass Demokratie von Gewaltenteilung lebe, dass sie aber auch davon lebe, dass am Ende politische Kompromisse zusammengefügt würden und dass Kommunikation immer offen, frei und bunt sein müsse. Gewissermaßen erfülle das dieser Tag, und deshalb finde er es sehr schön, dass das Grimme-Institut, viele Kritiker von Google, aber bei Google und mit Google, und alle miteinander in deutlicher Offenheit die Argumente austauschten.
Er verwies auf Montesquieu und seinen Text „Vom Geist der Gesetze“, in dem dieser erläutert habe, warum wir Gewaltenteilung brauchen – dass Macht fragmentiert werden müsse, dass sie nicht akkumuliert werden solle, weil sie sonst zur Deformation der Demokratie beitrage. Er zitiert Montesquieu mit dem Satz: „Eine ewige Erfahrung lehrt, dass der Mensch, der Macht hat, dazu getrieben wird, sie zu missbrauchen. Er geht immer weiter, bis er an Grenzen stößt.“ Dies betreffe nicht nur unsere staatliche Verfasstheit, wie wir unser Gemeinwesen rechtlich und konstitutionell organisieren, sondern auch den Kommunikationsraum, besonders den digitalen. Hier gebe es die Gefahr, dass wir in Abhängigkeiten geraten, dies sei heikel, wenn es um die Grundfesten der Demokratie geht.

Wolfram Weimer sagte weiter, wenn er über Montesquieu und über Europa als Heimstatt der Idee der Gewaltenteilung rede, müsse man sich vergegenwärtigen, dass Europa nicht nur reich sei an dieser aufklärerischen Tradition, sondern auch bis heute der Content-Kontinent sei. Er spreche gerne vom „Contentinent“ Europas als einem Ideen- und Inhaltelieferanten über Jahrhunderte und zwar in einer spektakulären und globalen Dimension. Auch heute im Inhaltewettbewerb in einem globalen Maßstab sei Europa nach wie vor der Contentinent, der nicht nur ein unglaublicher Produzent von Inhalten sei, sondern mit seinen 500 Millionen Menschen auch ein gewaltiger Markt für Güter, Dienstleistungen und besonders auch für den Kommunikationsmarkt, und deswegen auch eine große Goldgrube für BigTechs. Hier seien wir in eine Situation gekommen, dass wenige Plattformen, meist nicht-europäischer Herkunft, die Sichtbarkeit von Inhalten und die Kommunikationsströme steuerten, Datenmengen kontrollierten, und auch enorme Geschäfte mit sehr hohen Margen in Europa machten, die früher die Finanzierung von Journalismus, von klassischen Medien, von Vielfalt des Diskurses gesichert hätten.
Damit verändere sich das Spielfeld fundamental und radikal. Das sei der Grund, warum man diese strengen Debatten mit Google führen müsse, weil es eben um die Verfassungsfrage einer Kommunikationsdemokratie gehe. Denn damit seien wirtschaftliche Akteure wie große Plattformen eben nicht mehr Unternehmen, die Geschäfte machten, seien nicht nur Marktmacher, sondern auch Verfassungsgeber. Diese Rolle verlange einen neuen Zugriff der Gesellschaft und der Politik, denn sie entschieden am Ende, was überhaupt sichtbar werde in der Gesellschaft.
Auf der anderen Seite sei, wenn dieser Konzentrationsprozess in dieser Dimension passiere, der Backlash der herkömmlichen, kollektiven Willensbildung in der Kommunikation, in den freien Medien in Gefahr, es gebe die Gefahr, dass dieses gesamte System der freien Medien kollabiere.
Diese Situation werde von der Politik immer lauter adressiert, denn man sehe, dass dieser Konzentrationsprozess diese verfassungsändernde Dimension habe. Deshalb sei Übermacht in diesem kommunikativen Sinne, Übermacht von Plattformen, die gar nicht böse intendiert waren, ohne, dass jemand die Demokratie deformieren wollte, einfach durch einen wirtschaftlichen Prozess, am Ende aber eben doch hoch fragwürdig, denn wer die kommunikativen Schnittstellen am Ende kontrolliere, wer entscheide, was gehört, was gesehen, was gefühlt, was gedacht werde, in Teilen auch, was gewählt werde, der habe politische Macht. Und deshalb werde er adressiert von politischer Macht.
In den vergangenen Monaten beobachte man, dass sich dieser Prozess beschleunige, was mit den neuen KI-Modellen zu tun habe. Das führe dazu, dass in sozialen Medien Inhalte, die hoch relevant seien für die kollektive Willensbildung, konzentriert, zugespitzt, polarisiert würden. Wir hätten eine innere Balance in unserem kommunikativen Zusammenhang der Demokratie, auch im Wettbewerb der Ideen, gehabt, dass doch die Ideen im Mittelpunkt stehen. Jetzt stünden häufig die Affekte im Mittelpunkt, aufgrund der Mechanik des neuen Marktes. Dies sei mit Echokammerlogik weitreichend beschrieben. Die stattfindende Deformation müsse adressiert werden. Manche sagten, solche Prozesse, gerade wenn sie diesen qualitativen Sprung an Technologie wie bei KI hätten, müsse man laufen lassen, weil dort neue Wertschöpfungsmöglichkeiten seien, die Gewinne seien höher als die Risiken, da dürfe der Staat sich gar nicht einmischen. Aber in diesem Fall habe es zentral diese politische Dimension, und deswegen müsse der Staat eingreifen und einen Ordnungsrahmen setzen, dass die Selbstbestimmtheit der kollektiven Willensbildung erhalten bleibe.
Wolfram Weimer zitiert Montesquieu mit dem Satz: „Damit die Macht nicht missbraucht werden kann, ist es nötig, durch die Anordnung der Dinge zu bewirken, dass die Macht die Macht bremse.“ Wenn man eine neue, ausufernde Zentralmacht bekomme in der eigenen Gesellschaft, dann brauche es eine Gegenmacht, die dies einbremse und neu ordne. Dies könne in der Demokratie niemand anders sein als das Parlament und die ausübende Regierung. Und deswegen sei die Debatte um die digitale Souveränität so zentral, und es werde in dieser Legislatur, so Weimer, eine der großen medienpolitischen Aufgaben, wie Leitplanken gesetzt würden.
Was heiße Leitplanken setzen? Aus seiner Sicht werde es nicht reichen, dass Plattformen einfach technische Infrastruktur bereitstellen und Serverräume bauen. Auf der anderen Seite sei das, was zum Beispiel Google vor wenigen Tagen gemacht habe, zu dokumentieren, wir investieren in sehr großem Stil in Deutschland, wir bauen hier Rechenzentren, ein gutes Signal, weil damit gezeigt werde, dass man sich einbringe in die Gesellschaft, dass man hier nicht nur gute Geschäfte mache und den Markt revolutioniere, sondern dass man auch erkenne, dass man sich in diesem Land, in dieser Gesellschaft engagieren müsse. Dies könne nicht die Lösung des Problems sein. Es sei aber dennoch ein wichtiges Signal.
Denn dahinter stünde die Haltung, wer hier so eine Funktion ausübe wie die großen Plattformen, der müsse auch zur Stabilität des Landes beitragen, der müsse sich auch einbringen in die demokratischen Prozesse. Dies bedeute in einem zweiten Schritt, dass wir dies steuerrechtlich adressieren müssten. Es gebe ein großes Gerechtigkeitsempfinden in breiten Teilen der Gesellschaft, dass die großen Plattformen in Deutschland gute Geschäfte machten, aber viel zu wenig Steuern zahlten. Dahinter stehe nicht nur Geldwert, sondern die Frage des Fairnessausgleichs des Engagements. Wenn man hier die Infrastruktur nutze, die kreativen Potenziale, den Contentinent abschöpfe, aber nur sehr wenige Steuern zahle, dann sagten 81 Prozent der Deutschen, die Politik solle dies ändern.
Deswegen habe man die Idee des „Plattform-Solis“ auf den Weg gebracht und sei sich parlamentarisch sehr einig in dieser Koalition, übrigens auch mit den Grünen, also herrsche in der breiten Mitte des Parlaments Einigkeit, dass diese Abgabe kommen sollte. Man habe in den vergangenen Monaten eine Grundsatzdiskussion geführt, ob diese als Steuer oder als Abgabe kommen sollte. Das Ergebnis auch der parlamentarischen Beratung sei: eher keine Steuer, sondern eine Abgabe. Dies habe verfassungsrechtliche, finanztechnische und politische Gründe; vor allem habe es aber für Medien- und Kulturpolitiker den Grund, dass eine Steuer in den allgemeinen Haushalt einfließen würde, damit stelle sich die Frage, werde der Content-Kontinent damit rückvergütet in irgendeiner Form; bei einer Abgabe sei dies unmittelbar gewährleistet. Deswegen gehe man den Weg der Abgabe, zur Stärkung der Vielfalt, der regionalen Berichterstattung und von Innovation.
Ein weiteres Element, das im Parlament derzeit sehr intensiv und abschließend beraten werde, sei die Investitionsverpflichtung für Streamer – eine leicht andere Konstellation, aber im Grunde genommen eine ähnliche Logik. Man wolle große Akteure einladen, dass diese sich stärker einbringen in Deutschland, dass sie ihren Part an Investitionen leisten. Der Staat habe hierfür die Filmförderung verdoppelt, man habe Steuergeld in den Raum gestellt, man habe die Kinoförderung deutlich erhöht. Ein großer Fortschritt sei erzielt worden, auch mit der Förderquotenerhöhung auf dreißig Prozent. Wolfram Weimer sagte, er habe in den vergangenen Wochen viel mit Produzenten geredet, dieser Branche gehe es nicht nur schlecht, sondern miserabel. Die gesamte Produzentenlandschaft in Deutschland stehe mit dem Rücken zur Wand. Es sei dringend nötig gewesen, dort politisch zu handeln, und durch diese Aktionen (Erhöhung der Filmförderung, Förderquoten, Streamerverpflichtung) sprängen die Produktionsvorhaben in Deutschland an, man habe einen Zuwachs von dreißig Prozent bei den Anträgen bei BKM. Man merke, jetzt gehe wieder etwas los, und man sei guter Hoffnung, dass dies durch die Investitionsverpflichtung deutlich verstärkt werde.
Dies werde trotzdem nicht reichen, wir würden die Wettbewerbssituation nur dann in dieser Leitplankenlogik erfüllen können, wenn wir auch das Kartellrecht adressierten und aktivierten, denn wenn Monopole oder Kartelle entstünden, sei dies genauso schlecht wie zu viel Verstaatlichung, denn dann sei der Wettbewerb (auch der Ideen) gefährdet. Man habe aber auch ein regulatorisches Thema. Die Frage sei: Komme man zu einem Level Playing Field über eine europäische Systematik? Man sei in Europa gar nicht so schlecht unterwegs in einem globalen Maßstab in der Schaffung von regulatorischen Rahmenbedingungen, nur müssten diese auch in den Ländern aktiviert werden. Man müsse die rechtliche Absicherung der politischen Rahmen auch nachverfolgen. Deshalb finde er diese jüngste Entscheidung von der EU-Kommission in Sachen Google, dass es Grenzen im Sinne von Montesquieu geben müsse, sehr richtig, und man unterstütze die Kommission auch darin. Er sei in der folgenden Woche in Brüssel bei der EU-Ministertagung, dort stünden Entscheidungen an zu Plattformregulierung, Transparenz bei Algorithmen, diskriminierungsfreien Zugänge. Im Grunde gehe es immer darum, dass Trusted Content (dahinter stehe das Vertrauen in die Wahrheit des Arguments, des Diskurses) Chancen behalte im Markt, um ein Gegengewicht gegen Fake News und Desinformation zu ermöglichen.
Aber selbst, wenn all dies gelinge, Investitionen, Steuer, Regulatorik, Kartell, glaube er, dass man allein durch die Ordnung des Marktes die Zukunft des Mediensystems nicht in dem Sinne, wie man es brauche, erreichen könne. Er sei der festen Überzeugung, am Ende müsse Europa (und auch Deutschland) Mitwettbewerber schaffen können, die diesen Raum auch aus sich heraus öffnen, man brauche Angebote auf Augenhöhe und die habe man nicht. Dies sei ein bitterer Befund. Man habe sie nicht nur den Amerikanern gegenüber nicht, man habe sie auch zusehends gegenüber den Chinesen nicht. Deswegen sei es gut gewesen, dass in dieser Woche der Kanzler und der französische Präsident dies zentral adressiert hätten, dass Europa jetzt willens sei – fast wie in einer Situation vor vierzig Jahren, als Boeing als Monopol in der Luftfahrtindustrie dagestanden habe, als gesagt wurde, wir bauen jetzt Airbus. Das Bewusstsein in der Politik und in den europäischen Gesellschaften, dass man auch industriepolitisch Schritte gehen müsse, um den Wettbewerb zu ermöglichen und das digitale Ökosystem vielfältig zu halten, gehöre auch dazu.
Teil dieser industriepolitischen Aktion sei auch, dass man politisch befördere, dass sich Medien zu einer Größe zusammenschließen könnten, die den Wettbewerb überhaupt tragen könnten. Man habe im Rundfunkstaatsvertrag dazu auch Öffnungselemente angetragen. Man erlebe zurzeit einen gewissen Konzentrationsprozess, RTL habe Sky übernommen, Pro7 sei von MFE übernommen worden, und bei beiden – bei allen Kritikpunkten im Einzelfall (er habe sich in die Berlusconi-Diskussion sehr aktiv eingeschaltet) – sei im Grunde die strategische Linie richtig, dass man auch Akteure mit einer gewissen Marktgröße brauche, um überhaupt Plattformen bauen zu können, die einen offenen Wettbewerb ermöglichten. Deswegen sei die paneuropäische Perspektive – lasst uns in europäische Dimensionen schauen, wo können wir größere Akteure befördern, um diesen Markt offen zu halten – praktisch das fünfte Element in dieser politischen Handlungsoption.
Deshalb glaube er, dass das Mediensystem und damit unsere demokratische Grundlage in Schieflage gerate. Das dahinterliegende politische Problem sei, dass es das Risiko gebe, dass die gesamten europäischen Gesellschaften in den Rechtsautoritarismus abrutschten. Er sei aber guter Hoffnung, dass, wenn das Bewusstsein, das auch hier herrsche, dass unser Ziel klar sei, im Montesquieu’schen Sinne nicht nur die Gewalten zu teilen, sondern auch die Kommunikationsräume vielfältig und offen zu halten, man dann gut vorankommen und am Ende digitale Souveränität uns nicht nur verteidigen, sondern in einem neuen Sinne erobern könne. Deshalb wünsche er diesem Tag gute Gespräche und gute Ergebnisse.