Das Global Media Forum ist ein internationaler Medienkongress, der alljährlich im Sommer von der Deutschen Welle organisiert wird und in Bonn stattfindet. Im Jahr 2016 war das Konferenzthema „Media. Freedom. Values“, ein Thema, das selbstverständlich auch für das Grimme Lab hochinteressant ist. Am 14. Juni, dem zweiten Konferenztag, hatten wir die Gelegenheit, dabei zu sein und frische Eindrücke für unsere aktuellen Themen zu sammeln.
Im Plenarsaal
Unzweifelhaft spielt auch die politische Auseinandersetzung mit Medien, Freiheit, Werten eine große Rolle auf dem GMF. In einer Paneldiskussion mit dem Titel „Demokratische Werte: eine Wunderkur für jeden?“ sprachen Alojz Peterle, Abgeordneter des Europaparlaments und ehemaliger Premierminister von Slowenien, Jerzy Pomianowski, geschäftsführender Direktor des Europäischen Demokratiefonds, und die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, Claudia Roth, darüber, ob und wie Prozesse der Demokratiebildung und der Aufbau von rechtsstaatlichen Strukturen in Ländern wie Libyen und Afghanistan unterstützt werden können oder sollen.
Relativ unstrittig blieb zwischen den Diskutanten, dass eine militärische Intervention von außen oder die militärische Unterstützung einer als reformwillig wahrgenommenen Konfliktpartei grundsätzlich nicht als Lösung betrachtet werden kann, da ein solcher Eingriff nicht der richtige Weg sein sollte. Wenn es dennoch dazu kommt, kann es sich hierbei nur um einen Schritt handeln, auf den sehr viel nachhaltigere folgen müssen: Demokratische Werte können nicht schlicht importiert oder exportiert werden.
Claudia Roth. ‚You can’t import democracy through military intervention…it takes 41 years to get a state of law‘ #dw_gmf
— Andy Townend (@andy_townend) 14. Juni 2016
Die Arbeit an einem demokratischen Um- oder Aufbau eines Landes beginne – so die Teilnehmer der Diskussion – erst nach dem Ende des militärischen Eingreifens. Claudia Roth zitiert aus einem Bericht der Weltbank (2011), dass Transformationsprozesse Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern können:
Für den Aufbau bürokratischer Institutionen werden durchschnittlich 20 Jahre berechnet, für die Bekämpfung von Korruption 27, für eine effiziente Regierung 36 und für einen funktionierenden Rechtsstaat 41.
Auch in den europäischen Ländern seien diejenigen, die für demokratische Werte und Reformen gekämpft haben, meist in der Minderheit gewesen. Jerzy Pomianowski stellte fest, dass die Mehrheit in der Gesellschaft sich mit den bestehenden Verhältnissen meist arrangiere oder diese sogar für gut befinde.
Der Europäische Demokratiefonds hat 2015 übrigens einen Videowettbewerb zum Thema „60 Seconds for Democracy“ ausgerufen.
Er sei überzeugt, wenn man die Menschen in seinem Heimatland Polen nach der Wiedereinführung der Todesstrafe befragte, würden die meisten dies befürworten – und sich somit von den demokratischen Errungenschaften und der Beachtung der universellen Menschenrechte in Europa abwenden. Er verlangte deswegen, dass sowohl in Europa als auch in Staaten des Umbruchs die Minderheiten gestärkt und gestützt werden, die sich für Werte und Reformen engagieren und so den gesamten Prozess vorantreiben.
.@j_pomianowski: democracy activists are usually the minority in their countries #dw_gmf @DW_GMF pic.twitter.com/0qpZe0X5EU
— European Endowment (@EEDemocracy) 14. Juni 2016
Es sei fatal, mit westlicher Überheblichkeit in Länder des Umbruchs zu reisen. Claudia Roth hob die Unglaubwürdigkeit westlicher Politiker in Regionen wie den genannten, aber auch etwa in nordafrikanischen Staaten hervor, wo sie es schon erlebt habe, dass nach Exkursen über westliche Demokratie, über Menschenrechte und Werte die Frage nach Guantanamo oder Abu Ghraib gestellt wurde.
Gerade in diesem Zusammenhang betrachtet sie den Umgang mit der Flüchtlingssituation als besondere Herausforderung und Verpflichtung für Europa.
Roth: „All of the values of the EU are dying in the Mediterranean everyday.“ #refugees #dw_gmf pic.twitter.com/81g6P6VHjE
— Global Media Forum (@DW_GMF) 14. Juni 2016
Claudia Roth wirft Deutschland und Europa vor, zur Flüchtlingssituation beizutragen – und das nicht nur dadurch, dass etwa immer noch Waffen an Katar geliefert würden, das bekanntermaßen auch radikale Gruppen (IS) unterstütze (so dass sich Gewalt und Instabilität in verschiedenen Regionen noch verstärkten) oder dadurch, dass durch Exporte etwa der Geflügelmarkt in Ghana zerstört werde, so dass Menschen ihre wirtschaftliche Perspektive verlören.
.@j_pomianowski „If we want peace in the world, it’s better to have more democracies.“ #dw_gmf
— Global Media Forum (@DW_GMF) 14. Juni 2016
Die gesamte Diskussion ist bei Youtube zu sehen:
Jerzy Pomianowski schließt mit dem Hinweis, dass es selten Demokratien seien, die einander angriffen. Deshalb sei es klug und notwendig, in Gesellschaften die Akteure zu unterstützen, die demokratische Werte, universelle Menschenrechte und soziale Errungenschaften schützen und Reformen herbeiführen wollen.
Weiter im Programm ging es mit einer Vielzahl von Sessions. Wir haben drei davon besucht.
In der ersten, “Distortions in migrant reporting – striving towards a realistic picture”, die von der Stiftung Entwicklung und Frieden (sef) gehostet wurde, ging es hauptsächlich darum, dass in den Medien über Migranten und Flüchtlinge, nicht mit ihnen geredet wird. An der Diskussion nahmen teil: die Bloggerin und freie Journalistin Sherry Al-Hayek aus Syrien, Margreth Lünenborg, Professorin für Journalistik an der FU Berlin, Nazek Ramadan, die Direktorin von „Migrant Voice“ aus Großbritannien, und Peter Seidel, der als Redakteur beim Kölner Stadt-Anzeiger tätig ist.
Prof. Lünenborg forscht zu Migrantinnen und bestätigt den Eindruck, dass weibliche Flüchtlinge überwiegend als Opfer dargestellt werden. Sie wirft die Frage auf, ob Stereotype als Mittel für die Politik benötigt werden. Ein Foto von einem jungen Mädchen mit Kopftuch illustriert eine Diskussion über die Notwendigkeit von Bildung, Ausbildung und Integration und suggeriert so: Das junge Mädchen „braucht“ etwas.
Gerade bezüglich der Bildsprache in der Berichterstattung mahnten die Diskutanten zu Vorsicht: Eine große Zahl an überfüllten Booten könne auch als ein Symbol für ein „überfülltes“ Land gelesen werden. Ein Projekt von Kevin McElvaney, bei dem Menschen selbst ihre Flucht mithilfe von Einwegkameras dokumentierten, gab ihnen die Möglichkeit, selbst zu bestimmen, was veröffentlicht wird und was nicht (hier ein Bericht zu der Aktion bei bento).
Check out #RefugeeCameras – a photography project by Kevin McElvaney https://t.co/PTIPB65spv pic.twitter.com/55rYTQeTLp
— dwnews (@dwnews) 1. April 2016
Aber auch, was die Wortwahl in manchen Artikeln und Fernsehbeiträgen betrifft, üben die Panelteilnehmer Kritik: Masse, Flut, Flüchtlingskrise etc. seien Begriffe mit unterschwellig negativer Bedeutung.
Die Diskutanten waren sich grundsätzlich einig darüber, dass auch die (ökonomischen) Bedingungen im heutigen Journalismus eine Rolle dabei spielen, dass Zusammenhänge immer öfter verkürzt und ohne tiefergehende (eigene) Recherche dargestellt werden. Peter Seidel schilderte die Unterschiede in der journalistischen Arbeit im unmittelbaren (regionalen) Umfeld und der, die bundesweite oder transnationale Themen berührt. Während erstere immer noch von Journalisten der veröffentlichenden (Regional-)Zeitung übernommen werden kann, zum Beispiel mit Artikeln über den Besuch in einer Erstaufnahmeeinrichtung, wird bei letzteren (aus Personalmangel oder wegen fehlender eigener Quellen) oft auf Agenturmeldungen zurückgegriffen.
Die Vorfälle in der Silvesternacht in Köln haben auch im Journalismus zur Verunsicherung darüber geführt, was Teil einer Meldung sei muss und was – auch aus Gründen der Presseethik – nicht berichtet werden sollte. Ganz abseits davon sollten, hier waren sich alle einig, Journalisten auf eine in stärkerem Maße vielfältige Weise berichten.
Nazek Ramadan berichtete von einer Untersuchung von ca. 560 Artikeln in englischen Zeitungen zum Thema Migration und Migranten – von denen lediglich jeder achte ein Zitat eines Migranten selbst aufwies.
Reporting on #migration #refugees @NazekRamadan only 1 in 8 stories in UK media included ‚migrant voices‘ pic.twitter.com/0VO1iyMbd4
— Global Media Forum (@DW_GMF) 14. Juni 2016
Sie konstatiert, dass Migranten „keine Stimme“ hätten, es würde über sie, nicht mit ihnen geredet; deshalb müsste mit Organisationen wie „Migrant Voice“ entgegenwirkt werden: Sie bietet interessierten Journalisten zu diesem Zweck Treffen unter dem Motto „Meet a Migrant“ an, damit auch einmal andere Schwerpunkte gesetzt werden als Flucht – so etwa erfolgreiche Immigrationsgeschichten.
Sherry Al-Hayek weist darauf hin, dass viele Menschen in Syrien, aber auch die, die geflüchtet sind, nun selbst die Berichterstattung übernommen haben – als vorübergehender Ersatz für die derzeit nicht-existenten professionellen Informationsstrukturen.
Many #refugees are #citizenjournalists and covered their own stories says Syrian blogger Sherry Al-Hayek #dw_gmf pic.twitter.com/eGIO9dRUrS
— Global Media Forum (@DW_GMF) 14. Juni 2016
Flüchtende posten sehr viel über soziale Medien, diese Meldungen zirkulieren aber in der Regel nur in ihren Kreisen. Und wenn der überwiegende Teil von ihnen auf Arabisch veröffentlicht wird, werden diese Nachrichten in Europa in der Regel nicht wahrgenommen.
Es sei allerdings wichtig, die Perspektive der Flüchtenden selbst zu berücksichtigen, sagt Prof. Lünenborg. Ein vergleichsweise neuer Ansatz sei das Prinzip des „Othering“, des Sich-hinein-versetzens in andere. Berichterstattung über Flucht durch Flüchtlinge könne eine Bereicherung für den professionellen Journalismus sein. Es gehe nicht darum, den professionellen Blick zu verlieren, sondern darum, andere Perspektiven hinzuzufügen.
Nazek Ramadan stimmt zu: Auch sie fordere keine spezielle Weise, in der über Migranten geschrieben werde, sondern genau die gleiche wie bei jedem anderen Thema:
„Lasst sie zu Wort kommen.“
Die zweite Session „Migrants vs. natives and the death of Europe’s liberal, secular consensus“ greift die Problematik auf, dass Europa sich als Reaktion auf die Flüchtlinge in der Tendenz abriegelt. In einer Situation, in der zahlreiche Politiker die Angst vor Terrorismus ausnutzen, um radikale Tendenzen zu schüren, wird es immer schwieriger, gemeinsam einen sinnvollen Weg zu gehen.
Die Diskussionsrunde moderiert Judy Dempsey (Carnegie Europe, Germany). Teilnehmer/innen sind Caroline de Gruyter (Korrespondentin für Europäische Angelegenheiten, NRC Handelsblad, Niederlande), Kadri Gürsel (Journalist, politischer Kolumnist für Al-Monitor and Diken; Vorsitzender vom International Press Institute Turkish National Committee, Türkei),Stefan Lehne (Gastprofessor, Carnegie Europe, Österreich) sowie Milan Nič (Forschungsdirektor, GLOBSEC Policy Institute, Slowakei).
Oder bei Youtube zu sehen:
In der dritten Session, Combatting online hate speech and youth radicalization, ging es um Faktoren, die Online-Hass und Radikalisierung befördern, und um solche, die diese Phänomene womöglich bekämpfen können. Divina Frau-Meigs von der Universität Sorbonne Nouvelle / Paris, Amukelani Mayimele, die Direktorin von ZAYRAH aus Südafrika, Brandon Oelofse vom Radio Netherlands Training Centre sowie die österreichische Journalistin Duygu Özkan stellten die Radikalisierung von Jugendlichen in Hinblick auf Islamismus, zunehmend weiter verbreitete rechtsradikale und rassistische Online-Kommentare sowie diskriminierende Angriffe auf Frauen vor.
Soziale Medien können dazu beitragen, dass sich Proteste, die moderat und lokal begrenzt beginnen, durch digitale Ausbreitung über soziale Netzwerke teils explosionsartig ausbreiten: Amukelani Mayimele schildert, wie sich aus Studentenprotesten in Südafrika eine Bewegung entwickeln konnte, die weit über den ursprünglichen Einflussbereich der jungen Menschen hinausging.
Duygu Özkan, die neben ihrer Tätigkeit als Journalistin auch Mitglied im österreichischen Presserat ist, erklärt die Grenzen von Selbstregulation und Einflussnahme, wenn es um die Bekämpfung rassistischer oder rechtsextremer Artikel etwa in Printmedien geht. Sie nennt als Beispiel die in hohem Maße herabwürdigende Veröffentlichung in einer Zeitung, die nicht Mitglied im Presserat ist und deshalb nicht dazu gezwungen werden kann, eine Mahnung des Presserats abzudrucken. Anhand verschiedener Artikel veranschaulicht sie, wie in Österreich (genau wie in Deutschland auch) in bestimmten Medien und vor allem in den Kommentarbereichen der Onlinemedien Stimmung gegen Flüchtlinge gemacht wird.
Divina Frau-Meigs ist an einer Studie der UNESCO zu diesem Thema beteiligt, die im Oktober 2016 erscheinen soll. Einige Eckpunkte für diese Studie hat sie vorgestellt – allerdings stand sie vor der unlösbaren Aufgabe, eine Flut an Informationen innerhalb weniger Minuten übermitteln zu müssen, so dass wir an dieser Stelle nur wenige Punkte aufgreifen und uns stattdessen bemühen, die Studie nach Veröffentlichung im Oktober vorzustellen.
Einstweilen nur so viel: In der Regel sind es nicht die Onlinemedien oder die sozialen Netzwerke, die Jugendliche radikalisieren. Gefährdete Jugendliche durchlaufen eine ganze Reihe von Phasen, in denen sie sich mit (vermeintlich oder tatsächlich) aussichtloser Zukunft und Gegenwart, mit Ausgrenzung, Ablehnung, Frustration konfrontiert sehen.
Wenn sie in dieser Phase Gewalt (auch Dritten gegenüber) erleben und von Menschen mit scheinbar überzeugenden Lebensmodellen angesprochen werden, ist es möglich, dass die Weltsicht Einzelner extremer und radikaler wird. Wenn sie sich in einer solchen Situation in sozialen Netzwerken bewegen, die ihnen (vermeintliche) Orientierung, (vermeintliche) Lösungen für ihre Probleme und die Möglichkeit bieten, herauszuragen, dann dienen digitale Medien sicherlich verstärkend. Divina Frau-Meigs betont allerdings, dass der Einfluss dieser Medien beileibe nicht so groß ist, dass „ungefährdete“ junge Menschen quasi aus dem Nichts heraus radikalisiert würden.
Sie plädiert in ihren Ausführungen für die Stärkung von Medienkompetenz im Umgang mit diesen Netzwerken. Zensur lehnt sie ab; stattdessen fordert sie etwas, was sie „pedagogy of benevolence“ nennt und damit die Hinwendung zu den jungen Menschen und ihren Lebenssituationen meint. Drakonische Strafen unterstützen keinen Lernprozess und können deshalb zur Lösung dieses Problems nicht beitragen.
Bildrechte Beitragsbild: DW/K. Danetzki (CC BY-NC).