Der ägyptische Künstler und Wandmaler Ammar Abo Bakr hat für das Global Media Forum 2016 ein Bild gemalt – mithilfe von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, die derzeit in einer Bonner Flüchtlingsunterkunft leben. Die Arbeit an dem Bild begann im Vorfeld des GMF und wurde während des dreitägigen Kongresses vollendet.
Sepideh Parsa, eine der Organisatorinnen des GMF, hat ihn während der Arbeit besucht und mit ihm und den anderen Beteiligten über die Arbeit, über ihre Erfahrungen und über all das gesprochen, was in das Bild eingeflossen ist.
Wie entstand die Idee zu dem Bild und was stellt es dar?
Es gab im Vorfeld keine klare Idee. Unser Ziel war es, die Auseinandersetzung mit dem übergeordneten Konferenzthema über einen anderen, einen künstlerischen Weg herzuleiten. Ammar äußerte vorab den Wunsch, mit Flüchtlingen bzw. in einer Flüchtlingsunterkunft zu arbeiten. Er beschäftigt sich mit der Frage nach Identität, Kultur und Erinnerung („visual memories“). Eine klare Vorstellung davon, was er letztlich malt, hat er nach eigener Aussage nie. Vielmehr lässt er sich vor Ort von den äußeren Eindrücken und Begegnungen inspirieren.
Am Vorabend des Projektstarts habe ich Ammar ein Bild gezeigt, das mich nach wie vor sehr bewegt. Das Foto der 4-jährigen Hudea, die mit ihren zwei Geschwistern und ihrer Mutter im Atmeh Camp an der syrisch-türkischen Grenze Zuflucht gesucht hat. Das Foto spiegelt nicht nur die harten Lebensbedingungen wider, denen Flüchtlinge auf ihrer Suche nach Schutz ausgesetzt sind. Hudea hat das Teleobjektiv des Fotografen fälschlicherweise für eine Waffe gehalten und die Hände gehoben, um sich zu ergeben. Ihr Gesichtsausdruck spricht Bände. Jeder, der das Foto sieht, versteht. Ammar hat die Geschichte ebenfalls bewegt. Das Gesicht von Hudea wurde das erste Motiv. Von da an ist das Bild gewachsen.
Ammar arbeitet in Schichten – so hat sich das Bild Tag für Tag verändert. Das Bild spiegelt aber nicht nur die Geschichte der kleinen Hudea wider, sondern steht für die Erfahrung und Erlebnisse so vieler anderer – allen voran für die der Flüchtlinge in der Bonner Unterkunft, die sich von der ersten Sekunde an dem Bild beteiligt haben.
Wenn man genau hinschaut, sieht man nach wie vor die Malerei der Kinder und der jugendlichen und erwachsenen Bewohner. Das Blumenmotiv etwa stammt ursprünglich von den Kindern. Ammar hat diesen Einfluss genutzt und die Geschichte verändert. Hudea hält eine Blume in den Händen, die sie verteidigt. Sie hat an Stärke gewonnen. Die Blume ist Symbol für Leben, aber auch für die Hoffnung der Kinder auf eine Zukunft. Dies unterstreichen die kräftigen bunten Farben. Zudem hat Ammar Portraits von zwei weiteren Personen hinzugefügt, die wir in der Flüchtlingsunterkunft kennengelernt haben.
Das Bild wurde während des GMF fertiggestellt. Zunächst hat Ammar den Zaun hinzugefügt, der einerseits die Realität und die Lebensumstände vieler Betroffener an den Grenzen, aber auch innerhalb Europas widerspiegelt. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch, dass das Bild in der Unterkunft an einem derartigen Zaun angebracht wurde. Das „no photo“-Zeichen bezieht sich natürlich auf die Berichterstattung über Flüchtlinge, die nicht selten klischeebehaftet ist und weder die persönlichen Geschichten der Menschen erzählt, noch auf die Träume und Zukunftshoffnungen eingeht. Das Symbol stellt gleichzeitig einen Appell an die Medien dar, ihre Verantwortung wahrzunehmen und genau diese Geschichten zu erzählen. Es ermahnt zur mehr Rücksicht, mehr Ehrlichkeit und mehr Fürsorge.
Wer war beteiligt?
An dem Bild waren Ammar und die Bewohner der Flüchtlingsunterkunft beteiligt. Es waren aber nicht nur Kinder, sondern auch Jugendliche und Erwachsene. Zudem waren die Mitarbeiter der Unterkunft sehr kooperativ, interessiert und hilfsbereit. Die Stadt Bonn hat das Projekt ebenfalls maßgeblich unterstützt, indem sie uns die Erlaubnis gegeben hat, das Projekt kurzfristig in der Bonner Unterkunft durchzuführen.
Du warst mit Ammar Abo Bakr in der Flüchtlingsunterkunft, aus der die Kinder stammen, die am Bild beteiligt waren. Was waren Deine Eindrücke? Was haben die Kinder erzählt?
Einerseits war die Umgebung trist, der Alltag eintönig, die Atmosphäre schwer. Gleichzeitig waren die Menschen herzlich und aufgeschlossen, die Kinder lebensfroh, ihre Energie positiv. Ich hatte den Eindruck, dass die Menschen froh waren, dass etwas in ihrem Alltag „passiert“. Nicht nur die Kinder und Jugendlichen, sondern auch die Erwachsenen haben sich täglich stundenlang auf dem Innenhof, auf dem die Leinwände standen, versammelt. Sie haben Ammar bei der Arbeit zugesehen, sich von ihm portraitieren lassen, sich direkt am Bild beteiligt und uns ihre Geschichten erzählt. Manchmal haben wir auch einfach nur mit den Kindern gespielt.
Mich persönlich haben die Reaktionen der Erwachsenen sehr bewegt. Wir haben uns auf die Geschichten der Personen eingelassen, Fragen gestellt und zugehört. Eine Mutter nahm mich in den Arm und bedankte sich dafür, dass wir sie ernst nehmen und ihnen das Gefühl geben, Menschen zu sein.
Die Kinder fingen nach einigen Tagen an, den Boden direkt vor Ammars Bild mit Kreide zu bemalen. Ich hatte das Gefühl, dass sie auf ihre Weise in den Dialog getreten sind, sich geöffnet haben – als ob die gemeinsame Arbeit an Ammars Bild und das Zusammensein neue Kommunikationswege eröffnet haben.
Die Bewohner der Unterkunft kommen aus unterschiedlichen Ländern, sprechen unterschiedliche Sprachen und gehören verschiedenen Glaubensrichtungen und Ethnien an. Man hat gemerkt, dass es Diskrepanzen gibt. Diese Differenzen waren während der gemeinsamen Arbeit am Bild verschwunden. Es gab einfach keine Grenzen. Es bedurfte keiner Sprache, um sich auszudrücken. Die Farben waren die Instrumente.
Ein Junge erzählte mir, dass er Künstler werden möchte. Er malte uns ein Bild und wurde dabei von den anderen Kindern geärgert. Als wir ihn lobten und verteidigten, setzte das unglaubliche Energien in ihm frei. Er malte immer weiter, schenkte uns seine Bilder, nahm mich in den Arm und sagte nur: „Danke, dass Sie das alles für uns tun.“
Man muss verstehen, dass diese Menschen traumatisiert sind, teilweise seit zehn Monaten auf engstem Raum in dieser Unterkunft leben. Einem Großteil wurde bis heute nicht einmal ein Sprachkurs genehmigt. Eine überschaubare Zahl der Kinder und Jugendlichen hat einen Kindergarten- oder Schulplatz. Es fehlt gänzlich an Beschäftigung. Von allen Seiten hörten wir die Frustration hierüber. Der Alltag besteht aus Essen, Schlafen, Hoffen und Warten.
Die 11-jährige Nazanin, die mit ihrem Bruder und ihren Eltern aus Afghanistan geflohen ist, erzählte von dem Terror in ihrem Land und einem Angriff der Taliban auf ihre Familie. Sie zeigte mir eine große Narbe an ihrem Kopf. Die Taliban hatten ihr eine massive Verletzung zugefügt. Ihren Bruder haben sie gequält, bis er an seinen Verletzungen gestorben ist. Ihre Mutter ist Ärztin, ihr Vater hatte ebenfalls einen hohen Posten inne. Was tut man also, wenn das Leben der Familie bedroht ist? Nazanin und ihre Familie waren herzlich, offen, klug und voller Hoffnung. Auch ihre Geschichte erzählt Ammar in seinem Bild.
Wie waren die Reaktionen der Besucher beim GMF?
Die Besucher waren begeistert. Die Tatsache, dass Ammar das Bild auf dem GMF fertiggestellt hat, war toll. So hatten die Teilnehmer die Gelegenheit, sich mit ihm auszutauschen. Auch für uns war dies ein neues Projekt. Es war eine schöne Erfahrung, eine Facette des Konferenzthemas, die dieses Bild beschreibt / diskutiert, auf eine andere Art und Weise, also nicht in Sessions und Keynotes, aufzugreifen. Es ist sehr viel emotionaler, besonders, wenn man die Geschichten der Menschen auf den Bildern kennt und sich die Botschaft vergegenwärtigt, die das Bild transportiert. Wenn man dann auch noch den Arbeitsprozess begleitet und eine persönliche Bindung aufgebaut hat, bewegt der Anblick umso mehr. Es gibt Millionen dieser Schicksale. Wir müssen den Menschen, ihren Geschichten und ihrer Identität Raum geben. Zumindest müssen wir zuhören und versuchen zu verstehen, was sie durchmachen.
Beim GMF gab es eine Session mit dem Titel: „How art can make a difference.“ Worum ging es? Und kann Kunst einen Unterschied machen?
Das Panel hat sich vor allem mit der Frage beschäftigt, welche Rolle Kunst in Gesellschaften – insbesondere mit repressiven Regierungen – einnehmen kann. Ammar ist ein bekannter Street-Art-Künstler, der während der Revolution in Ägypten 2011 Graffiti-Kunst und Wandmalerei als alternatives Informationsinstrument genutzt hat, um die Ereignisse der Aufstände zu dokumentieren. Für ihn ist die Tatsache, dass er Künstler ist, zweitrangig, da es nicht um den Künstler gehen sollte, sondern vielmehr darum, was die Kunst mit den Menschen macht, was sie für sie bedeutet.
Dass Kunst aber auch Einfluss auf das Verhalten von politischen Akteuren nehmen kann, zeigte Ahmed al Basheer. Er ist ein bekannter irakischer Satiriker, der seine Satire-Sendung ebenfalls als alternatives Informationsangebot einsetzt. Nach seiner Aussage haben irakische Politiker begonnen, ihr Verhalten anzupassen, aus Angst, dass sie zum Gespött der Nation gemacht werden.
Der syrisch-palästinensische Pianist, Aeham Ahmed, der als „Pianist der Trümmer“ bekannt wurde, nutzt hingegen seine Musik, um die Menschen zu bewegen und einen Zufluchtsort vor dem Horror des Alltags im Krieg zu bieten.
Andere Künstler wie der deutsche Rapper Samy Deluxe oder der Sänger Fetsum setzen ihre Musik ein, um auf gesellschaftspolitische Missstände aufmerksam zu machen und den Diskurs anzuregen. Kunst ist sicherlich gerade deswegen so bedeutungsvoll, weil sie geistige Freiräume schafft und die Möglichkeit gibt, sich über sprachliche Barrieren hinweg auszudrücken.
Was passiert nun mit dem Bild?
Wir beabsichtigen, das Bild zu versteigern. Die Einnahmen würden wir gerne in die Flüchtlingsunterkunft, in der wir auch gearbeitet haben, investieren. Dabei ist es uns wichtig, dass den Menschen vor Ort etwas zur Verfügung gestellt wird, von dem sie längerfristig profitieren. Einige der Kinder und Jugendlichen haben einen Kindergarten- oder Schulplatz. Anderen im gleichen Alter fehlt noch immer der Zugang.
Vor allem aber mangelt es an sinnvollen Beschäftigungsmöglichkeiten. Einmal pro Woche können die Bewohner, denen bisher noch kein Sprachkurs bewilligt wurde (teilweise Personen, die schon acht Monate in der Unterkunft leben), an einem Deutschkurs teilnehmen. Die Teilnehmerzahl ist begrenzt. Der Zugang zu Sprache ist der Schlüssel zur Integration und die Grundvoraussetzung dafür, dass die geflüchteten Menschen eine Zukunft aufbauen können. Es wäre also denkbar, dass wir in ein erweitertes Deutschkursangebot investieren.
Ammar schwebt zudem vor, das Geld in einen Folgeworkshop zu investieren und eng mit den Flüchtlingen der Unterkunft zu arbeiten. Leider hatten wir im Vorfeld des GMF nur wenig Zeit. Ein längerer Intensivworkshop würde es ermöglichen, in die Tiefe zu gehen. Wir feilen an dem Konzept.