Neben der Kommunikation über soziale Netzwerke und der Nutzung von Bewegtbildangeboten (etwa über YouTube) sind auch Spiele ein wichtiger Teil der Freizeitgestaltung von jungen Menschen – und deshalb grundsätzlich ein geeigneter Kanal für ihre Ansprache auch und besonders im Kontext gesellschaftlicher Bildung.
Das Genre der Serious Games umfasst digitale Spiele, mit denen den Spieler(inne)n Unterhaltung geboten wird, die ihnen aber auch Information und Wissen vermitteln.
Das Grimme-Institut hat in seiner Broschürenreihe „IM BLICKPUNKT“ eine Ausgabe zum Thema Games veröffentlicht, die sich mit der Entstehungsgeschichte, Wirkung, Genres, Entwicklung und anderem mehr befasst.
Da die Broschüre bereits aus dem Jahr 2011 stammt, sind einige der Zahlen mittlerweile veraltet. Für einen Einstieg ins Thema ist sie aber womöglich noch interessant.
Neben diesen beiden Aspekten, die bei der Definition von Serious Games ausschlaggebend sind, gibt es allerdings eine Vielzahl variabler Faktoren:
Die Spiele selbst können ganz unterschiedlichen Gattungen zuzuordnen sein; die addressierte Zielgruppe umfasst jung und alt und auch die Plattform, auf der das jeweilige Spiel angeboten wird, kann von Smartphones und Tablets über Konsolen hin zu Computern reichen.
Serious Games können im Themenfeld von Gesundheit und Bewegung, von Sicherheit und Militär, von Politik und Kultur, von Werbung und Produktvorstellung, aber eben auch im Bereich der Erwachsenen- und Jugendbildung angesiedelt sein. So können Serious Games auch ein Bestandteil von E-Learning-Konzepten für die berufliche Aus- und Weiterbildung sein oder „neue Perspektiven eröffnen, die auch den Auftrag der politischen Bildung betreffen: Verständnis für politische Sachverhalte zu fördern, das demokratische Bewusstsein zu festigen und die Bereitschaft zur politischen Mitarbeit zu stärken.“ (Bundeszentrale für politische Bildung)
Serious Games stoßen dann an die Grenzen ihrer Wirksamkeit (und ihres Sinns), wenn sie die Regeln von Computerspielen bzw. die Erwartungshaltung der Spieler(innen) ignorieren: Sie dürfen nicht langweilig sein, sie dürfen den Nutzer(innen) nicht mit dem erhobenen Zeigefinger kommen, sie müssen die Spielenden ernst nehmen. Der Spielspaß (der auch in Serious Games entscheidend ist) darf nicht durch Faktoren wie eine sperrige Spielführung, überkomplexe Hintergrundinformationen oder fehlende Handlungsalternativen eingeschränkt werden.
„Doch wie vermittelt man spielerisch Wissen und Verständnis zu brisanten Themen wie Flucht und Migration, ohne moralische Grenzen zu überschreiten? Wo kippt politische Bildung in Propaganda um? Sind immersive Hilfsmittel wie Virtual Reality angemessen oder als zynisch abzulehnen?“ (Bundeszentrale für politische Bildung)
Auf der anderen Seite müssen die Entwickler(innen) darauf achten, dass die real existierenden Themen, die in den Spielen behandelt werden, mit Respekt und Einfühlungsvermögen (und keinesfalls reißerisch) umgesetzt werden.
Einen ausführlichen Themenschwerpunkt mit dem Titel „‚Spielend lernen‘ – digitale Spiele in der Bildung“ hat die Bundeszentrale für politische Bildung Ende Juni 2016 veröffentlicht, darin finden sich Kapitel wie Digitale Bildung & Geflüchtete, Open Educational Resources und Digitale Inklusion.
Mit den Möglichkeiten der digital vermittelter Bildung befasst sich seit mehreren Ausgaben auch die Social-Media-Konferenz re:publica. Unter dem Stichwort „re:learn“ finden sich Vorträge und Diskussionen, in denen Chancen und Grenzen digitaler Anwendungen für das Lernen im Allgemeinen und für die (Selbst-)Positionierung junger Menschen in der digitalen Gesellschaft im Besonderen vorgestellt und überdacht werden, so zum Beispiel unter dem Titel: Powerplay – wie sich Games und Politik gegenseitig verändern.
Tobias Miller und Anne Sauer stellten in dieser Präsentation zehn Computerspielthesen aus zehn Jahren vor, die Bezug nehmen auf politische Kontexte in und zu Games. Eine ihrer Thesen besagt etwa, dass moralische Aspekte in Computerspielen uns sensibilisieren bzw. unsere politische Haltung beeinflussen können, denn: „Games sind kein politikfreier Raum.“ Anne Sauer und Tobias Miller arbeiten unter anderem für die „Spielbar“ der Bundeszentrale für politische Bildung. Diese gibt einen Überblick über aktuelle Serious Games und beurteilt ihren Sinn und Zweck, die Spielbarkeit und den Anspruch.
Papers, please-Trailer
So muss man etwa bei „Papers, please“ in einem fiktiven Staat den Grenzkontrolleur geben – eine Aufgabe, die die Spielenden „in moralische Zwickmühlen“ bringt, denn:
„Nimmt man die Bestechungsgelder an oder schickt man Personen, die der eigene Geheimdienst nicht im Land haben will, trotz korrekter Papiere weg? Und kann man das flehende Mütterchen trotz abgelaufener Dokumente nicht vielleicht doch durchlassen?“
The Undocumented: Projekt zu Menschen ohne Papiere.
„The Migrant Trail“ befasst sich mit der illegalen Einwanderung in die USA und ist Teil des The Undocumented-Projekts, das die Geschichte von über 400 Migranten „ohne Dokumente“ nachzeichnet, die allein im Jahr 2009 in der Wüste von Arizona gestorben sind.
In „This War of Mine“ ist der Spieler Teil der Zivilbevölkerung in einem Krieg; seine Aufgabe: das reine Überleben. In der Beurteilung in der Spielbar heißt es, dass das Spiel aufgrund der Thematik und der zu treffenden Entscheidungen keinen Spaß mache, sondern frustriere, und eine Rezension in der ZEIT trug den Titel: „Das traurigste Spiel des Jahres“.
„Ist jedoch ein Wille da, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen und auch negative Gefühle beim Spiel in Kauf zu nehmen, dann bietet das Spiel einige Reflexionsansätze. Somit hat ‚This War of Mine‘ auch durchaus Potential, im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung mit den Themen Krieg und Ethik, Eindrücke und Ansätze für Reflexion zu bieten.“ (Spielbar)
Spiele, die sich mit dem Thema „Flucht“ befassen, haben wir auch im Dossier „Flüchtlingshilfe: medial vernetzt & online sichtbar“ im Kapitel „Flucht wird medial sichtbar“ vorgestellt.
Die Spiele-App Utopolis nimmt sich für Spieler(innen) ab 12 direkt den demokratischen Prozess als solchen vor. Waldtiere müssen sich als Gemeinschaft zusammenschließen, um eine bedrohliche Situation zu bewältigen. Zu diesem Zweck müssen sich sich auf Gesetze einigen. Die Beurteilung von spielbar.de hebt zwar durchaus den interessanten Ansatz hervor, bemängelt aber das, was bereits des öfteren an Serious Games kritisiert wurde: Der Spielverlauf biete relativ wenige Handlungsspielräume und schränke deshalb den Spielspaß ein wenig ein.
„Fazit: Utopolis ist ein interessantes soziales Experiment, das den Spielenden eine Reihe an Möglichkeiten gibt, sich selbst in einer Gruppe zu organisieren. Die Erlebnisse im Spiel regen zur Diskussion und zum Nachdenken an. In der spielerischen Umsetzung fehlt es allerdings an Handlungsmöglichkeiten, um langfristig zu motivieren.“
Datenschutz & Überwachung
„Data Dealer“ dreht sich als Online-Spiel um Datenschutz und Überwachung:
„Ziel des Spiel ist es, das Bewusstsein der Nutzer für Datenschutz in sozialen Netzwerken zu schärfen und das Ausmaß von Datenhandel zu zeigen – online wie offline.“ (Tagesspiegel)
Auch zu Newsgames hat spielbar.de Tipps, und im Fachartikel „Molotow-Cocktails im Digitalsandkasten“ denkt Christian Schiffer darüber nach, wie politisch Spiele sind.
Das „Games for Change Festival“ zeichnet Spiele aus, die „Wissen vermitteln und gleichzeitig ein Bewusstsein für humanitäre Problemlagen schaffen“. Seit 2013 hat das Festival auch einen europäischen Ableger.
Die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg hat ebenfalls eine umfangreiche und kommentierte Linkliste an Online-Spielen veröffentlicht, an deren Herstellung sie beteiligt war. Dazu gehört unter anderem GLOBO – das Weltquiz.
Gemeinschaft wird verhandelt
Spiele, die „mitten in der Gesellschaft“ angesiedelt sind, wie den Kanzlersimulator und Eugens Welt (zum Leben in einer Gemeinschaft), findet man auf Planet Schule, einem gemeinsamen Angebot von SWR und WDR.
Dieses Onlineangebot widmet sich einem Special dem Schwerpunkt Demokratie und reichert die Spiele mit einem Lehrertool oder Unterrichtsentwürfen an.
Ins Museum, um zu spielen
Schulklassen der Jahrgangsstufen 8 bis 10 können sich im Deutschen Technikmuseum / Berlin zum Spiel DATA RUN anmelden. In diesem Angebot der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb) und der Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin geht es um Datendiebstahl, Abhörskandale und Datensicherheit.
„Das Szenario: Kriminelle attackieren die Versorgungseinrichtungen einer Stadt!“
Konzipiert und realisiert wurde das Spiel von der Agentur mediale pfade.
Aber auch in anderen Genres verorten einige Shooter oder Action-Adventure-Spiele, die aufgrund von Jugendschutzvorgaben erst ab 16 oder 18 Jahren freigegeben sind, mittlerweile ihren Spielverlauf in einem Setting, das gesellschaftliche Probleme jetzt oder in einer fiktiven Zukunft adressiert.
Nur ein Beispiel sei an dieser Stelle genannt:
Die Handlung in „Mirror’s Edge“ (2008), einer Dystopie, spielt in einer Stadt, „in der Kommunikation und Informationsfluss von einem totalitären Regime überwacht werden“ und in der die Protagonistinnen als sogenannte Runner geheime Informationen an den Überwachern vorbei transportieren müssen.
Das Grimme-Forschungskolleg, eine gemeinsame Einrichtung des Grimme-Instituts und der Universität zu Köln, wird sich in einem neuen Forschungsvorhaben ab Herbst 2016 der Frage widmen, ob und wie kommerzielle Spiele zu Unterrichts- und Lernzwecken sinnvoll eingesetzt werden können. Zu diesem Zweck werden Workshops mit medienpädagogischen Experten, aber auch mit Vertretern der Praxis, sprich Lehrern und Schülern, organisiert.
Weiterlesen: Jugendkultur & Politik
Veröffentlicht im September 2016